Entscheidungsstichwort (Thema)

Führungsaufsicht. Maßregel. Weisung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Weisung an einen erkanntermaßen alkoholkranken Menschen im Rahmen der Führungsaufsicht, keine alkoholischen Getränke zu sich zu nehmen, verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist mit § 68 b Abs. 3 StGB nicht zu vereinbaren.

2. Eine solche Weisung zur künftigen Lebensführung ist regelmäßig erst zulässig, wenn zuvor eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen wurde.

 

Normenkette

StGB §§ 68 f, 68b Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Entscheidung vom 29.04.2009; Aktenzeichen II StVK 75/09)

 

Tenor

1. Auf die sofortige und die (einfache) Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig in Torgau vom 29. April 2009 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Durchführung des Verfahrens und Entscheidung, auch über die Kosten beider Rechtsmittel, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

 

Gründe

1. Zur Strafrestaussetzung:

Das insoweit als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel hat vorläufig Erfolg. Eine Entscheidung über die Aussetzung der restlichen Strafvollstreckung zur Bewährung ist vorliegend ohne kriminalprognostisches Gutachten eines Sachverständigen nicht möglich, § 454 Abs. 2 StPO (std. Senatsrechtsprechung, vgl. auch OLG Celle NStZ-RR 2008, 355 f.). Es dient im Rahmen der umfassenden Sachverhaltsaufklärungsverpflichtung der Strafvollstreckungskammer, eine hinreichende Entscheidungsgrundlage für die zu treffende Prognose nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erhalten. Es ist regelmäßig so rechtzeitig einzuholen, dass auch unter Beachtung der Rechtsmittelmöglichkeit eine rechtskräftige Entscheidung über die Strafaussetzung grundsätzlich noch vor Erreichen des gesetzlich vorgesehenen möglichen Aussetzungszeitpunkts ermöglicht wird (vgl. BVerfG Kammerbeschluss vom 26. März 2009 - 2 BvR 2543/08, juris Abs. Nr. 64; Senatsbeschluss vom 09. Juni 2005 - 2 Ws 317/05 -).

§ 454 Abs. 2 StPO schreibt die Einholung eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens vor in Fällen, denen regelmäßig schwerwiegenderes Tatunrecht zugrundeliegt. Wenngleich der Beschwerdeführer eine entsprechende Begutachtung im Januar 2008 anlässlich der gesetzlich von Amts wegen durchzuführenden Prüfung einer Strafaussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe abgelehnt hatte, scheint er diese Verweigerungshaltung nicht weiter aufrechtzuerhalten, wie sein nunmehriger Antrag auf Strafausetzung zeigt.

Auch erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine Strafrestaussetzung in Betracht gezogen werden kann (§ 454 Abs. 2 Satz 1 StPO). Der Verurteilte, der -rechtskräftig festgestellt - zwar an einer bereits zur Tatzeit fortgeschrittenen chronischen Alkoholkrankheit litt (und mangels nachhaltiger Behandlung im Maßregelvollzug noch immer leidet), war zuvor in strafrechtlicher Hinsicht nicht, bzw. nur unmaßgeblich wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Jahr 2000 aufgefallen. Es ist daher nicht von vornherein anzunehmen, dass - trotz Alkoholkrankheit - ein Rückfall in delinquentes Verhalten naheliegen muss.

Die Versagung einer Strafrestaussetzung ohne Sachverständigengutachten stellt in vorliegender Sache einen erheblichen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer nötigt. Eine eigene Entscheidung des Senats (§ 309 Abs. 2 StPO) scheidet wegen der umfassenden Aufklärungsverpflichtung der Strafvollstreckungskammer und des im Verfahren mündlich zwingend anzuhörenden (§ 454 Abs. 2 Satz 3 StPO) Sachverständigen aus, § 309 Abs. 1 StPO.

2. Zur Führungsaufsicht:

Die insoweit einfache Beschwerde des Verurteilten (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Sätze 1 und 2 StPO i.V.m. § 68 b StGB) gegen die zusätzliche Weisungserteilung im Rahmen der Führungsaufsicht hat gleichfalls vorläufigen Erfolg. Das kriminalprognostische Gutachten wird auch diesbezüglich zu berücksichtigen sein; gegebenenfalls entfällt die Erforderlichkeit entsprechender Weisungen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

a) Soweit die Strafvollstreckungskammer eine Abhilfeentscheidung unterlassen hat, steht dies zwar der Entscheidung des Senats über die Beschwerde nicht entgegen, da die Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung darstellt (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 306 Rdnr. 10). Gleichwohl enthebt dieser Umstand die Strafvollstreckungskammer aber nicht von ihrer Verpflichtung nach § 306 Abs. 2 Satz 1 StPO, grundsätzlich ihre Entscheidung selbst zu überprüfen.

b) Nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das Rechtsmittel nur darauf gestützt werden, dass eine Anordnung der Strafvollstreckungskammer gesetzeswidrig ist. Eine Gesetzeswidrigkeit der hier zu beurteilenden Weisungen liegt vor, wenn die Anordnungen im Gesetz nicht vorgesehen, wenn sie unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreiten (vgl. Appl in KK-StPO, 6. Aufl. § 453 R...

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