Leitsatz (amtlich)

1. Im Auslieferungsverfahren aufgrund eines Europäischen Haftbefehls stellt § 81 Nr. 2 IRG - anders als § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG - nicht auf den noch offenen Strafrest, sondern allein darauf ab, ob die freiheitsentziehende Sanktion, aufgrund derer die Auslieferung begehrt wird, mindestens vier Monate beträgt.

2. Missstände in Bezug auf die Menschenrechtslage machen die Rechtshilfe im Auslieferungsverkehr nicht von vornherein unzulässig.

3. Eine Auslieferung an Ungarn ist zulässig, wenn eine belastbare Zusicherung abgegeben wird, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in einer Haftanstalt untergebracht wird, die im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 steht und den Grundsätzen des Europäischen Strafvollzugs sowie den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen vom 12. Februar 1987 entspricht.

 

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten an Ungarn zur Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Kiskumhals/Ungarn vom 12. Juli 2013 in Verbindung mit der seit dem 7. April 2014 rechtskräftigen Berufungsentscheidung des Landgerichts Kecskemet/Ungarn (Az.: 7.B.275/2011/198; 3.BF.15/2014/36) verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren wird für zulässig erklärt.

 

Gründe

I.

1.

Der Senat hatte gegen den am 21. April 2015 vorläufig festgenommenen Verfolgten am 28. April 2015 die Auslieferungshaft angeordnet. Gegen den Verfolgten besteht sowohl eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem als auch ein Europäischer Haftbefehl des Landgerichts Kecskemet/Republik Ungarn vom 26. April 2014 (Az.: Szv.446/2014/3). Dem Haftbefehl liegen die in der Beschlussformel bezeichneten Urteile zugrunde, mit denen der Verfolgte wegen fortgesetzten Menschenschmuggels in Mittäterschaft zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren verurteilt worden ist.

Der Verfolgte hatte am 19. Juli 2009 vier am Tag zuvor von Mittätern nach Ungarn eingeschleuste Kosovo-Albaner mit seinem Fahrzeug nach Wien weiterbefördert.

Am 30. Juli 2009 hatte der Verfolgte acht an diesem Tag von Mittätern nach Ungarn eingeschleuste Kosovo-Albaner übernommen, um sie nach Frankreich zu transportieren. Nach Festnahme der Mittäter wurde auch der Verfolgte noch in Ungarn festgenommen.

Die Freiheitsstrafe ist noch in einer Höhe von sechs Monaten und fünf Tagen zu vollstrecken.

2.

Eine Auslieferung des Verfolgten von der Tschechischen Republik an die Republik Ungarn zur Strafvollstreckung ist durch das Bezirksgericht Brno/Tschechische Republik aufgrund der tschechischen Staatsangehörigkeit des Verfolgten und mangels seiner Zustimmung zu einer Auslieferung für unzulässig erklärt worden. Die Tschechische Republik hat Ungarn daraufhin um Übernahme der Strafvollstreckung ersucht. Ungarn hat die hierfür notwendigen Unterlagen bisher jedoch nicht übermittelt.

3.

Bei seiner Anhörung vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Chemnitz am 21. April 2015 hat sich der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt.

4.

Ausweislich ihrer Vorabentscheidung vom 29. April 2015 beabsichtigt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden nicht, Bewilligungshindernisse im Sinne des § 83b IRG geltend zu machen.

Der Verfolgte wurde hierzu am 7. Mai 2015 durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Zwickau angehört. Bei dieser Anhörung hat sich der Verfolgte, der in Ungarn in den Haftanstalten in Kecskemet und Szekesferhervar inhaftiert war, zu den Haftbedingungen geäußert. Er hat eine Überbelegung, mangelnde hygienische Bedingungen, mangelnde ärztliche Versorgung, mangelnden Schutz der Intimsphäre und Kakerlakenbefall geschildert. Zudem sei es ihm nur für eine Stunde pro Tag gestattet gewesen, den Haftraum zu verlassen. Er habe keine Möglichkeit erhalten, Beschwerde einzulegen. Zudem hat der Verfolgte auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall "Varga und andere gegen Ungarn" - Pressemitteilung des Gerichtshofs vom 10. März 2015 (ECHR 077(2015) - hingewiesen, mit der die Haftbedingung in verschiedenen ungarischen Haftanstalten als mit Art. 3 EMRK unvereinbar angesehen worden sind.

5.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat mit Schreiben vom 8. Mai 2015 beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären.

Auf die Stellungnahme des Verfolgten, insbesondere zu den in Ungarn erlittenen Haftbedingungen hat der Senat das ungarische Justizministerium mit Schreiben vom 5. Juni 2015 um Abgabe einer Zusicherung gebeten, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in einer Haftanstalt untergebracht wird, die im Einklang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 steht und den Grundsätzen des Europäischen Strafvollzugs sowie den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen vom 12. Februar 1987 entspricht.

6.

Mit Beschluss vom 30. Juni 2015 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

7.

Mit Schreiben vom 8. Juli 2015 hat das u...

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