Leitsatz (amtlich)

Ein Wechselmodell kann gegen den Willen eines Elternteils auch bei einer erheblichen Störung der elterlichen Kommunikation gerichtlich angeordnet werden, wenn das Wechselmodell bereits seit geraumer Zeit tatsächlich gelebt wird, es dem beachtlichen Willen des Kindes entspricht und nachteilige Auswirkungen auf das Kind nicht feststellbar sind.

 

Verfahrensgang

AG Bautzen (Aktenzeichen 12 F 13/21)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bautzen vom 28.04.2021 wird zurückgewiesen.

2. Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils die Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des am xx.xx.2010 geborenen Kindes L... Sie waren nicht miteinander verheiratet und üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Das Kind hat in der Vergangenheit überwiegend im Haushalt der Antragsgegnerin gelebt.

Mit Beschluss vom 05.10.2018 hat das Familiengericht den Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn L... dergestalt geregelt, dass dieser das Recht hat, mit seinem Sohn Umgang alle 14 Tage in der Zeit von Donnerstag (Abholen in der Schule bzw. im Hort) bis Dienstag (Bringen in die Schule) auszuüben. Der (periodische) Umgang ist in diesem Umfang in der Vergangenheit von den Beteiligten praktiziert worden. Die Beschwerde der Eltern gegen den Beschluss des Familiengerichts am 05.10.2018 hat der Senat mit Beschluss vom 22.01.2019 zurückgewiesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Familiengericht nach Anhörung der Eltern und des Kindes sowie der Bestellung eines Verfahrensbeistandes dem Antragsteller ein Umgangsrecht in Form eines Wechselmodells in der geraden Woche von Montag (Abholung aus der Schule) bis zum darauffolgenden Montagfrüh (Bringen zur Schule) eingeräumt. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf einen entsprechenden Kindeswillen gestützt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt. Sie macht u.a. geltend, dass die Anordnung eines Wechselmodells nicht auf den Kindeswillen gestützt werden könne, da dieser durch den Antragsteller manipuliert und beeinflusst sei. Im Übrigen lägen auch die übrigen Voraussetzungen für ein Wechselmodell, nämlich eine hinreichende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern, nicht vor. Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Verfahrensbeistand und das Jugendamt haben sich für eine Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung ausgesprochen.

Der Senat hat die Eltern, das Kind und den Verfahrensbeistand persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll und den Anhörungsvermerk vom 22.06.2021 sowie auf das Protokoll und den Anhörungsvermerk vom 17.03.2022 und das Kinderanhörungsprotokoll vom 21.03.2022 Bezug genommen. Das Jugendamt hatte Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme.

Im Senatstermin am 22.06.2021 haben sich der Antragsteller und die Antragsgegnerin in einer Zwischenvereinbarung auf eine außergerichtliche Mediation verständigt, die auf Wunsch der Antragsgegnerin vorzeitig beendet worden ist.

II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt ohne Erfolg.

Das Familiengericht hat zu Recht seinen Beschluss vom 05.10.2018, der einen erweiterten Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn L... von Donnerstag bis zum Dienstag der darauffolgenden Woche vorsieht, gemäß § 1696 Abs. 1 BGB abgeändert und mit dem angefochtenen Beschluss nunmehr ein paritätisches Wechselmodell angeordnet.

1. Nach § 1696 Abs. 1 BGB ist eine Entscheidung zum Umgangsrecht zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Dabei ist die Änderungsschwelle für Erweiterungen des Umgangs niedriger anzusetzen als bei Sorgerechtsentscheidungen und können Anpassungen an veränderte Umstände schon dann geboten sein, wenn dies dem Kindeswohl dient (vgl. Staudinger/Coester [2019], § 1696 Rn. 13). Für das Erreichen der Änderungsschwelle kann ein geänderter Kindeswille, insbesondere wenn die Änderung auch schon tatsächlich praktiziert wird, genügen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2005, 746). Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung des Kindeswohls kommt vorliegend dem geänderten Willen des Kindes L... - unter Anwendung des Maßstabs des § 1696 Abs. 1 BGB - nach Überzeugung des Senats ein entscheidendes Gewicht zu mit der Folge, dass ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen ist, welches zudem schon seit Mai 2021 von den Eltern in die Praxis umgesetzt wird.

2. Der Senat übersieht dabei nicht, dass die von ihm in seinem Beschluss vom 22.01.2019 getroffene Feststellung, für ein Wechselmodell fehle es an einer ausreichenden Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern, auch nach Einschätzung des Ju...

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