Leitsatz (amtlich)
Es ist fraglich, ob der gesetzliche Vertreter eines angeklagten Jugendlichen zu den verhandlungsbeteiligten Personen zählt, gegen die ein Ordnungsmittel gemäß § 178 GVG verhängt werden kann. Jedenfalls ist für die Verhängung eines Ordnungsmittels eine Verfügung des Vorsitzenden allein nicht ausreichend. Der gesetzliche Vertreter gehört auch nicht zu den "bei der Verhandlung nicht beteiligten Personen" im Sinne des § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG. Eine Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst.
Normenkette
GVG §§ 178, 178 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Leipzig (Entscheidung vom 02.03.2009; Aktenzeichen 250 Ls 404 Js 58392/07) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Frau S wird der Ordnungsgeldbeschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 02. März 2009 aufgehoben.
Die der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Am 02. März 2009 verhandelte das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Leipzig gegen die im Rubrum aufgeführten Angeklagten. Frau S nahm an dieser Verhandlung als gesetzliche Vertreterin des Angeklagten S teil. In der Hauptverhandlung wurde gegen Frau S ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft verhängt, weil die Zeugin ungebührliches Verhalten an den Tag gelegt hatte; sie habe gegenüber dem Gericht eine abfällige Geste mit der rechten Hand gezeigt. Sie war unmittelbar zuvor ermahnt worden, die Sitzung nicht weiter zu stören; anlässlich dieser Ermahnung war ihr die Verhängung eines Ordnungsgeldes angedroht worden.
Gegen den Beschluss richtet sich ihre sofortige Beschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
II.
Das als sofortige Beschwerde gemäß §§ 178, 181 Abs. 1 GVG statthafte Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin eines der angeklagten Jugendlichen zu den ausdrücklich genannten verhandlungsbeteiligten Personen (Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige) gehört, gegen die ein Ordnungsmittel wegen Ungebühr gemäß § 178 Abs. 1 GVG verhängt werden kann. Der gesetzliche Vertreter wird vom Gesetz nicht genannt.
Bei dem in § 178 Abs. 1 GVG bezeichneten Personenkreis handelt es sich um denselben wie in § 177 Abs. 1 GVG, der wiederum nach § 51 Abs. 3 JGG entsprechend für Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter jugendlicher Angeklagter gilt. § 51 Abs. 3 JGG ist durch Art. 23 des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3416) in das Jugendgerichtsgesetz eingefügt worden. Der Gesetzgeber wollte damit klarstellend regeln, dass im Fall manifester Störungen der Ordnung in der Sitzung auch diese Personen gemäß § 177 GVG aus dem Sitzungssaal entfernt werden können, nachdem in § 177 GVG Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter nicht ausdrücklich genannt werden (BT-Drs. 16/3038, S. 64). Eine entsprechende Regelung für § 178 GVG hat der Gesetzgeber indes nicht getroffen.
Soweit man den gesetzlichen Vertreter gleichwohl zu den ausdrücklich genannten verhandlungsbeteiligten Personen in § 178 Abs. 1 GVG zählen wollte, hat über die Festsetzung von Ordnungsmitteln gemäß § 178 Abs. 2 GVG jedoch dann nicht der Vorsitzende, sondern das Gericht zu entscheiden. In der Anordnung des Ordnungsmittels durch den Vorsitzenden allein anstelle des Jugendschöffengerichts liegt hingegen ein Verfahrensverstoß, der die Anordnung zwar nicht unwirksam (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 178 GVG Rdnr. 12), jedoch anfechtbar macht (Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 178 Rdnr. 39, § 177 Rdnr. 24).
Der Ordnungsgeldbeschluss ist im vorliegenden Fall allein durch den Vorsitzenden gefasst worden. Dies ergibt sich daraus, dass der Beschluss verkündet worden ist, ohne dass dem Protokoll eine vorherige Beratung des Jugendschöffengerichts entnommen werden könnte. Ein Gerichtsbeschluss kann auch nicht mehr nachgeholt werden, weil die sitzungspolizeiliche Gewalt des Gerichts mit Abschluss der Sitzung beendet ist (Meyer-Goßner, § 181 GVG Rdnr. 6 m.w.N.).
Zählt man den gesetzlichen Vertreter hingegen nicht zu den ausdrücklich in § 178 GVG genannten verhandlungsbeteiligten Personen, ist diese Vorschrift auf gesetzliche Vertreter überhaupt nicht anwendbar. Denn der gesetzliche Vertreter, der gemäß § 67 JGG umfangreiche Rechte in Anspruch nehmen kann, wird auch nicht als "bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen" angesehen werden können.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil das GVG nicht in den Verfahren des § 1 GKG aufgeführt ist (Kissel/Mayer, § 181 Rdnr. 19). Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO (OLG Brandenburg NJW 2004, 451).
Fundstellen
Haufe-Index 2571116 |
NStZ... |