Leitsatz (amtlich)
1. Substantiierter Vortrag zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Dieselfahrzeug liegt nicht bereits dann vor, wenn lediglich unter Bezug auf Studien vorgetragen wird, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand geringere Schadstoffemissionen hat als im Realbetrieb.
2. Im Jahr 2015 war nach dem seinerzeit in der Automobilindustrie und bei den Zulassungsbehörden bestehenden Erkenntnisstand der Einbau eines Thermofensters zulässig; der Hersteller kann sich daher auch nach der neueren Rechtsprechung des EuGH auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen.
3. Für ein 2016 erworbenes Fahrzeug kann ein merkantiler Minderwert nicht allein auf einen allgemeinen Vertrauensverlust gegenüber Dieselfahrzeugen gestützt werden.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 1801/21) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 40.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts wird auf Ziffer I der Gründe des Hinweisbeschlusses des Senats vom 08.03.2023 verwiesen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
A) Die Berufung ist zulässig. Der Kläger hat die das erstinstanzliche Urteil tragende Erwägung des fehlenden Nachweises seiner Aktivlegitimation ausreichend konkret angegriffen. Zudem hat er jedenfalls mit dem nach Hinweis des Senats vom 08.03.2023 eingegangenen Schriftsatz vom 12.04.2023 sein Berufungsvorbringen dahingehend ergänzt und klargestellt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor der Baureihe EA 189 verbaut ist. Damit verfüge das Fahrzeug - wie alle anderen Fahrzeuge mit diesem Motor - über eine Software, die bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die gegenüber dem Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt. Sein Vortrag erfüllt somit die - geringen - Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO, denn es genügt zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt (BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - IX ZR 228/02, ZIP 2003, 1554, juris Rn. 19).
B) Die Berufung bleibt aber ohne Erfolg. Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter Ziff. 2 des Hinweisbeschlusses des Senats vom 08.03.2023 Bezug genommen, an denen der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 12.04.2023 festhält.
1. Der Feststellungsantrag ist unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse des Klägers fehlt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 14 ff.).
Ein Feststellungsinteresse ergibt sich auch nicht daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Zwar kann, wenn ein Teil des Schadens bei Klageerhebung schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren, wobei die zu erwartenden Schäden nur möglich sein müssen (vgl. BGH a.a.O). Darauf kann der Kläger, dessen Klage auf die "Rückabwicklung" des Erwerbs des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs, also den sogenannten großen Schadensersatz, gerichtet ist, sein Feststellungsinteresse jedoch nicht stützen. Denn er hat nicht dargelegt, dass neben der von ihm als Schadensposition geltend gemachten Kaufpreiszahlung und den bereits bezifferten Rechtsanwaltskosten weitere erstattungsfähige Schäden zu befürchten sind. Solche sind auch nicht zu erwarten, da der Kläger sein Fahrzeug veräußert hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2023 - VI ZR 67/20 -, Rn. 13 - 14, juris).
2. Allerdings hat der Kläger - anders als im erstinstanzlichen Verfahren - mit der Berufungsbegründung seine Aktivlegitimation dargelegt und nachgewiesen. Mit seinem ergänzten Sachvortrag ist er entgegen der Ansicht der Beklagten mangels eines entsprechenden Hinweises des Landgerichts im Berufungsverfahren nicht präkludiert.
3. Im konkreten Fall sind jedoch schon die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach - auch unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 21. März 2023 zum Az. C-100/21 - nicht gegeben. ...