Leitsatz (amtlich)

Der langjährig praktizierte, regelmäßige Austausch von Patienten mit dem beklagten Klinikum kann die Besorgnis der Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen rechtfertigten.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Beschluss vom 07.03.2017; Aktenzeichen 07 O 3192/15)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des LG Leipzig vom 07.03.2017 - 7 O 3192/15 - in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 22.03.2017 wie folgt abgeändert:

Der Befangenheitsantrag der Kläger gegen den Sachverständigen PD Dr. H. wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Die Kläger begehren als Erben ihres verstorbenen Sohnes Schmerzensgeld und Schadensersatz. Ihr Sohn erlitt am 28.12.2012 eine hypoxische Schädigung, weil der ihm gelegte Tubus disloziert war und eine korrekte Platzierung des Tubus erst nach ca. eineinhalb Stunden erfolgen konnte. Sie behaupten, das Verrutschen sei Folge einer unsachgemäßen Befestigung, die entgegen dem medizinischen Standard nicht dokumentiert worden sei. Zudem sei der pädiatrische Facharztstandard auf der Intensivstation nicht eingehalten worden, da kein Facharzt mit ausreichender Erfahrung anwesend gewesen sei. Das LG hat den Sachverständigen Dr. H - Leiter der Abteilung für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin der Universitätsklinik und Poliklinik für Pädriatrie in H. - mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt, der den Gutachtenauftrag angenommen und erst bei Übersendung des Gutachtens darauf hingewiesen hat, dass er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gelegentlich Kontakt zu dem beklagten Krankenhaus habe und in verschiedenen Bereichen eine medizinische Zusammenarbeit bestehe. Auf Nachfrage teilte er mit, die Zusammenarbeit bestehe im Wesentlichen im Bereich der Kinderdialyse (ca. zwei Verlegungen im Jahr). Vereinzelt sei es auch zur Übernahme von schwerkranken Patienten aus dem Klinikum der Beklagten gekommen. Verlegungen führe er in der Regel nicht selbst durch. Darüber hinaus habe er zu Herrn Dr. med. G., den Leiter des Departements für Kindermedizin im Hause der Beklagten, Kontakt gehabt. Zu Frau Prof. Dr. R. habe er im entferntesten Sinne persönlichen Kontakt, da er sie kenne und gelegentlich bei Kongressen, Weiterbildungen etc. fachlich mit ihr spreche. Mit Herrn Prof. Dr. B. - dem Leiter der Allgemeinpädiatrie und Neonatologie- habe er per E-Mail Kontakt bezüglich einer Anfrage zu einem anderen Patienten gehabt und mit ihm im Februar 2017 telefoniert.

Die Kläger haben den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und meinen, wegen der Zusammenarbeit bestehe die Gefahr, dass der Sachverständige die Angelegenheit tendenziös bearbeite. Hinzu komme, dass der Sachverständige diese Umstände erst auf ausdrückliche Nachfrage beantwortet habe. Zudem sei hier das Kriterium der Ortsferne nicht eingehalten. Es sei in der gerichtlichen Praxis üblich, einen Sachverständigen auszuwählen, der mehr als 300 km entfernt ansässig sei.

Das LG Leipzig hat mit Beschluss vom 07.03.2017 den Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen zurückgewiesen. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde vom 17.03.2017 hat das LG nicht abgeholfen.

II. Die sofortige Beschwerde der Kläger ist zulässig gemäß § 567 ff., 406 Abs. 5 ZPO. Sie ist in der Sache auch begründet, §§ 406, 42 ff ZPO.

Gemäß § 406 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Richter unterliegt gemäß § 42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit der Ablehnung, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu begründen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (vgl. hierzu OLG Celle, Beschluss vom 10.02.2016 - 1 O 2/16). Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden kommen dafür nicht in Betracht. Nicht erforderlich ist, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist; unerheblich ist auch, ob er sich für befangen hält (so OLG Celle, aaO.). Entscheidend ist allein, ob aus Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Voreingenommenheit des Richters oder Sachverständigen zu zweifeln (so OLG Celle, aaO.).

Ohne Erfolg beanstanden die Kläger die fehlende Ortsferne des Sachverständigen aus H. zu der in L. ansässigen Beklagten. Insoweit ist das Ablehnungsgesuch bereits unzulässig, denn den Klägern war die Ortsnähe des Sachverständigen der Beklagten bereits vor Beauftragung des Sachverständigen bekannt, und sie haben sich mit Schriftsatz vom 21.09.2016 ausdrücklich mit seiner Beauftragung einverstanden erklärt. Die Kläger haben es versäumt, den Ablehnungsantrag binnen der zweiwöchigen Frist gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu stellen. Unabhängig ...

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