Leitsatz (amtlich)
Die intraoperative aufgetretene Dislokation einer Fraktur begründet regelmäßig keinen Anscheinsbeweis, dass diese infolge unzureichender Bildwandlerkontrolle behandlungsfehlerhaft übersehen wurde.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 1565/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07.05.2024 wird aufgehoben.
4. Es ist beabsichtigt, den Gegenstandswert auf 30.000,00 EUR festzusetzen.
Gründe
I. Der am 20.11.1995 geborene Kläger macht Ansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend. Er erlitt am 07.10.2018 bei einem Sportunfall eine Unterschenkelfraktur rechts und wurde am gleichen Tag in der Notaufnahme der Beklagten aufgenommen. Die Röntgenuntersuchung vom 07.10.2018 ergab den Nachweis einer Fraktur. Am 08.10.2018 wurde ein Aufklärungsgespräch geführt und am 09.10.2018 wurde die Fraktur mit einer Nagelosteosynthese versorgt. Intraoperativ wurde eine Bildwandlerkontrolle durchgeführt. Im Operationsbericht wurde dokumentiert, dass die Bildwandlerkontrolle eine unauffällige Beinachse und eine ausreichende Knochenfragmentstellung ergeben habe. Bei der postoperativen Röntgenkontrolle am 10.10.2018 zeigte sich eine Dislokation ad latus vom proximalen Fragment der Tibia. Die am 11.10.2018 durchgeführte Ganzbeinaufnahme rechts ergab eine Abweichung des Knochens aus der Lotlinie von 2 cm nach lateral, die anatomische Beinachse zeigte eine Winkelabweichung von 12 Grad (im Sinne einer X-Bein-Stellung). Dem Kläger wurde von der Beklagten eine umgehende Korrekturoperation wegen der Fehlstellung angeboten. Er lehnte diese ab und wünschte eine heimatnahe operative Versorgung. Er wurde am 12.10.2018 aus der stationären Behandlung der Beklagten entlassen und stellte sich ambulant am 15.10.2018 in der Zentralen Notaufnahme der DRK-Kliniken B...... W...... vor, wo am 24.10.2018 die Korrekturoperation durchgeführt wurde. Der postoperative Verlauf wurde im Arztbrief vom 05.11.2018 als unauffällig bezeichnet. Die Implantate wurden im Mai 2020 entfernt.
Der Kläger hat behauptet, die Behandler der Beklagten hätten das Osteosynthesematerial fehlerhaft eingebracht, und die operative Versorgung sei nicht lege artis erfolgt. Zudem hätte eine zeitnahe Computertomographie erfolgen müssen, um die Fehllage zu erkennen. Es wäre dann eine sofortige Korrekturoperation indiziert gewesen. Der Facharztstandard sei nicht gewahrt worden, da ein Assistenzarzt den Eingriff durchgeführt habe. Wegen der fehlerhaften Behandlung habe er sich einer Revisionsoperation unterziehen müssen, was zu einem prolongierten Heilungsverlauf sowie einer zeitlich kompletten Immobilität und weiteren motorischen Einschränkungen geführt hätte.
Das Landgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H...... eingeholt und die Klage mit Urteil vom 27.10.2023 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er meint, entscheidend sei, ob die intraoperativen Bildwandlerkontrollen bereits den Repositionsverlust gezeigt hätten. Die Ausführungen des Sachverständigen hierzu seien nicht überzeugend und widersprüchlich. Die intraoperativen Durchleuchtungsbilder seien dem Sachverständigen nur teilweise zur Verfügung gestellt worden, was er selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt habe. Wenn sich intraoperativ der Zustand ergeben hätte, dass postoperativ am 10.10.2018 dokumentiert worden sei, hätte man diesen nicht belassen dürfen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Sachverständige die regelrechte Lage der Fraktur mittels nicht vollständiger Durchleuchtungsbilder habe beurteilen können. Dies gelte schon deshalb, weil es nach dessen Angaben unwahrscheinlich sei, dass die Reposition zwischen operativem Eingriff und postoperativer Röntgenkontrolle stattgefunden habe. Offensichtlich hätten die Operateure auf intraoperative Bilder verzichtet, um die Operation vorzeitig zu beenden. Es müsse daher ein gerichtliches Gutachten aus dem Bereich der Radiologie und ein Obergutachten eingeholt werden.
Der Kläger beantragt,
1. Unter Abänderung des am 27.10.2023 verkündeten Urteils des Landgerichtes Chemnitz, Az.: 4 O 1565/20, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger ein Schmerzensgeld von nicht unter 25.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Unter Abänderung des am 20.10.2023 verkündeten Urteils des Landgerichtes Chemnitz, Az.: 4 O 1565/20, wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungskläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung der Beklagten zukünftig entstehen, zu ersetzen, soweit Sie nicht auf Sozialversicherun...