Leitsatz (amtlich)

1. Ein rechtliches Interesse für ein selbständiges Beweisverfahren über eine Invalidität in der privaten Unfallversicherung kann auch dann vorliegen, wenn zweifelhaft ist, ob innerhalb der nach den Versicherungsbedingungen maßgeblichen Frist die erforderliche ärztliche Bescheinigung erstellt worden ist.

2. Die Belehrung des Versicherungsnehmers über die Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen in der privaten Unfallversicherung und die Erstellung einer ärztlichen Bescheinigung muss nicht drucktechnisch gesondert hervorgehoben werden.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 8 OH 79/20)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des LG Dresden vom 25.1.2022 abgeändert und im Wege des selbständigen Beweisverfahrens die Einholung eines schriftlichen Gutachtens einer Fachärztin/eines Facharztes für Orthopädie und Psychiatrie über folgende Fragen angeordnet:

II. 1. Führten die von der Antragstellerin durch den Unfall am 01.11.2016 erlittenen Gesundheitsschädigungen/Funktionsbeeinträchtigungen zu einer Invalidität auf der Grundlage der Gliedertaxe der Antragsgegnerin?

2. Wie hoch ist der Invaliditätsgrad für die o.g. aus dem Unfall resultierenden Gesundheitsschädigungen/Funktionsbeeinträchtigung der Antragstellerin - auf der Grundlage der Gliedertaxe der Antragsgegnerin?

III. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

IV. Die weiteren Anordnungen werden dem Landgericht übertragen.

V. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt im Wege des selbständigen Beweisverfahrens ein schriftliches medizinisches Sachverständigengutachten zu den Fragen einzuholen, ob die von ihr durch einen Unfall am 1.11.2016 erlittenen Gesundheitsschädigungen/Funktionsbeeinträchtigungen zu einer Invalidität auf der Grundlage der Gliedertaxe der Antragsgegnerin führen und wie hoch dieser Invaliditätsgrad ist. Es wird im Übrigen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Das Landgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Eine Beweisgefährdung sei nicht glaubhaft gemacht. Schon wegen der Zeitspanne von vier Jahren zwischen Unfall und der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens wäre sie gehalten gewesen, die Gefahr eines Beweismittelverlustes gesondert darzulegen. Auch sei das nach neuerer Rechtsprechung zu fordernde rechtliche Interesse der Antragstellerin zu verneinen, weil ihr aus der streitgegenständlichen privaten Gruppenunfallversicherung kein Anspruch mehr zustehe, nachdem sie die Frist zur Geltendmachung habe verstreichen lassen. Es fehle sowohl eine fristgemäße ärztliche Feststellung als auch die rechtzeitige Geltendmachung des behaupteten Invaliditätsanspruches vor dem nach den Versicherungsbedingungen zu beachtenden Fristablauf am 1.2.2018. Eine erstmalige Geltendmachung sei erst am 9.2.2018 erfolgt. Der von der Antragstellerin vorgelegte Arztbrief datiere vom 12.2.2018 und liege damit ebenfalls außerhalb der maßgeblichen Frist, unabhängig davon, dass sich aus ihm auch die Feststellung einer bedingungsgemäßen Invalidität nicht ergebe. Die Antragsgegnerin habe mit Schreiben vom 12.12.2016 (Anl. E1) auf die einzuhaltenden Fristen hingewiesen und könne sich daher auch auf den Fristablauf berufen.

Mit der fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde vertritt die Antragstellerin die Auffassung, das Landgericht habe verkannt, dass sie den Anspruch rechtzeitig, nämlich bereits am 9.1.2018, geltend gemacht habe und daher ein rechtliches Interesse gegeben sei. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass es sich bei der Angabe "9.2.2018" um einen Schreibfehler gehandelt habe, was sich auch aus dem Eingangsstempel der Antragsgegnerin ergebe. Die erforderliche ärztliche Feststellung zur Invalidität sei mit Attest vom 13.11.2017 (Anlage K 13) erfolgt. Aufgrund der vorprozessualen Korrespondenz, in der sie stets zugestanden habe, dass die formellen Voraussetzungen für den Antrag erfüllt seien und es nur noch auf darauf ankomme, ob von einer unfallbedingten Invalidität auszugehen sei, habe die Antragsgegnerin das Recht auf die Berufung hinsichtlich dieses Umstandes verwirkt, zumindest aber konkludent hierauf verzichtet, zumal der Hinweis im Schreiben vom 21.12.2016 auf die Folgen der Fristversäumnis nicht genüge.

Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung und meint, die gestellten Fragen seien ohnehin unzulässig, weil sie auf eine Ausforschung hinausliefen.

Der sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Zwar sei aufgrund des neuen Vorbringens im Beschwerdeverfahren nunmehr von der fristgerechten Geltendmachung des Anspruchs auszugehen; eine hinreichende ärztliche Feststellung der Invalidität liege jedoch auch nicht in der Anspruchsanmeldung vom 3.11.2017, weil der unterzeichnende Arzt ausdrücklich anmerke, dass er zur Kausalität nicht Stellung nehmen könne.

II. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg und füh...

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