Leitsatz (amtlich)

1. Die Verfahrensdauer lässt für sich genommen keinen Rückschluss auf eine Besorgnis der Befangenheit des Richters zu. Der Vorwurf, das Verfahren werde so gestaltet, dass es in der Sache einer Rechtsschutzverweigerung gleichkomme, kann diese Besorgnis nur begründen, wen sich für eine objektive Partei der Eindruck einer willkürlichen und voreingenommenen Verfahrensweise ergibt.

2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens über eine Richterablehnung entspricht dem Streitwert in der Hauptsache.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2877/15)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 8.9.2020 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 400.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit ihrer am 08.12.2015 beim Landgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin Zahlung von Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung. Zur Begründung hat sie sich auf mehrere Privatgutachten bezogen. Das Landgericht hat seinerseits Gutachten der Sachverständigen Prof. D ... und PD Dr. G ... eingeholt und den Parteien mit Beschluss vom 28.07.2020 die Einholung eines weiteren Gutachtens eines anderen Sachverständigen angekündigt. Die Klägerin ist dem entgegengetreten und hat den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Dass der zuständige Einzelrichter ein weiteres Gutachten einholen wolle, begründe die Besorgnis der Befangenheit nicht, auch wenn er durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, die bisher beauftragten Sachverständigen ergänzend anzuhören, um die Widersprüche zu den Privatgutachten auszuräumen. Eine Verpflichtung hierzu bestehe nicht, die Einholung eines Obergutachtens schließe überdies eine Anhörung der ursprünglichen Gutachter zu einem späteren Zeitpunkt nicht aus. Der Beschluss ist dem Klägervertreter am 16.09.2020 zugestellt worden. Mit der am 30.09.2020 eingegangenen Beschwerde vertritt die Klägerin die Auffassung, eine Besorgnis der Befangenheit ergebe sich unabhängig von den Erwägungen des Landgerichts daraus, dass der Einzelrichter das Verfahren über fünf Jahre hinweg verschleppt und einen Prozess "nur dem Schein nach geführt" habe. Sie habe aufgrund dessen jeden Glauben an eine zeitnahe instanzbeendende Entscheidung verloren. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Ziff. 1, 569 ZPO zulässig, in der Sache hat sie aber keinen Erfolg. Eine Ablehnung des zuständigen Einzelrichters RiLG H ... wegen Besorgnis der Befangenheit ist nicht gerechtfertigt. Gemäß § 42 ZPO ist die Besorgnis der Befangenheit eines Richters anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen. Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 14.03.2003, IXa ZB 27/03 - juris). Allerdings ist - was auch das Landgericht bereits hervorgehoben hat - die Befangenheitsablehnung grundsätzlich kein Instrument zur Fehler- und Verfahrenskontrolle, damit sind grundsätzlich weder Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung noch fehlerhafte Entscheidungen ein tauglicher Ablehnungsgrund (BGH, Beschlüsse vom 12.10.2011 - V ZR 8/10 Rn. 7; vom 01.06.2017 - I ZB 4/16 Rn. 15 und vom 20.11.2017 - IX ZR 80/15 Rn. 5, jeweils nach juris). Die Fälle, in denen eine objektive Besorgnis der Befangenheit wegen fehlerhafter Rechtsanwendung in Betracht kommen kann, sind daher auf besonders grobe Verfahrensverstöße beschränkt, die sich so sehr von einem normalerweise geübten Verfahren unterscheiden und dadurch offensichtlich unhaltbar sind, dass sich der Eindruck einer nicht nur sachwidrigen, sondern auf Voreingenommenheit gegenüber einer Partei beruhenden Benachteiligung aufdrängt (BGH, Beschluss vom 10.04.2018 - VIII ZR 127/17 Rz. 6 m. zahlr. Nachw. - juris; Senat, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 4 W 300/20 -, Rn. 4 - 6, juris OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2018 - II-2 WF 225/17 in MDR 2018, 551 m.w.N.). Schon die bloße Untätigkeit des Richters über einen gegebenenfalls auch längeren Zeitraum stellt im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund dar, weil sie die Parteien gleichermaßen belastet und aus ihr regelmäßig keine der Parteien folgern kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. (vgl. OLG München, Beschluss vom 07. August 2019 - 1 W 649/19 -, Rn. 9, juris OLG Dresden, Beschluss vom 29.06.2009 - 3 W 526/09, juris-Tz. 3; ähnlich OLG Bamberg, Beschluss vom 11.11.1999 - SA F 31/99, juris-Tz-. 5; zur grundlosen Verweigerung von Akteneinsicht BayObLG, Beschluss vom 20.07.2000 - 2 Z BR 49/2000, juris-Tz. 10 f; Zöller/Vollk...

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