Leitsatz (amtlich)

Die Hemmung der Verjährung durch einen Prozesskostenhilfeantrag tritt auch dann ein, wenn dem Antrag die Erklärung über die persönlichen Verhältnisse nicht beigefügt ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Bekanntgabe an den Antragsgegner "demnächst" erfolgt.

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 436/21)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Görlitz vom 3.3.2022 teilweise abgeändert und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H..., ..., für folgenden Klageantrag bewilligt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 5000,- EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe einer 1,3-Gebühr (außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren) aus einem Streitwert von 5500,- EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Ansprüche zu ersetzen, soweit diese auf die Behandlung vom 09.04.2018 zurückzuführen sind und soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Arzthaftungsstreitigkeit. Er sprach am 8.4.2018 nach einem Sturz in der Praxis der Beklagten vor. Der behandelnde Arzt Dr. P... diagnostizierte eine Schwellung am Nasenbein. Der Antragsteller behauptet, eine Konsultation bei einem weiteren Arzt 8 Wochen nach Vorsprache bei der Antragsgegnerin habe eine Nasenbeinfraktur ergeben. Der ihn behandelnde Arzt der Antragsgegnerin habe die Erhebung der gebotenen bildgebenden Befunde verabsäumt und die Fraktur fehlerhaft nicht diagnostiziert. Bei korrekter Diagnose und dementsprechend durchgeführter Behandlung wären dem Antragsteller unnötige Schmerzen und bleibende Gesundheitsschäden, darunter die "jetzige Optik im Gesicht und die erheblich eingeschränkte Nasenatmung" erspart geblieben. Die Antragsgegnerin ist dem Anspruch entgegengetreten. Aufgrund des diskreten klinischen Befundes, der eindeutig für eine Nasenprellung gesprochen habe, habe für eine weitere Befunderhebung oder zusätzliche Behandlung keine medizinische Notwendigkeit bestanden. Auch hätten sich keine therapeutischen Konsequenzen aus einer anderen Diagnose ergeben. Sie hat darüber hinaus die Verjährungseinrede erhoben.

Das Landgericht hat den Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurückgewiesen. Etwaige Ansprüche seien aufgrund Verjährung jedenfalls nicht durchsetzbar. Die Verjährung habe zum Ende des Jahres 2018 zu laufen begonnen, nachdem der Kläger bereits mit Schreiben vom 22.11.2018 gegenüber der Beklagten Ansprüche angemeldet habe. Der am 23.12.2021 eingegangene PKH-Antrag habe nicht zu einer Hemmung der Verjährung führen können, weil ihm die zwingend erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gefehlt habe. Diese habe der Antragsteller erst am 4.1.2022 und damit nach Eintritt der Verjährung erstellt.

Mit der sofortigen Beschwerde vom 11.4.2022 gegen den ihm am 9.3.2022 zugestellten Beschluss des Landgerichts tritt der Antragsteller dieser Rechtsauffassung entgegen. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Antragsgegnerin hatte im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie hält etwaige Ansprüche mit dem Landgericht für verjährt.

II. Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingereichte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führte zur Bewilligung ratenloser Prozesskostenhilfe in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Der Antragsteller ist - wie sich aus den im Verfahren vor dem Landgericht eingereichten Unterlagen ergibt - bedürftig. Seine Rechtsverfolgung hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Grundsätzlich muss der Patient, der einen Arzt auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, zunächst den nach §§ 630a ff., 823 Abs. 1, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB notwendigen Behandlungsfehler darlegen und beweisen. Hierbei sind an seine Substantiierungspflichten lediglich maßvolle Anforderungen zu stellen, weil von ihm angesichts des bestehenden Informationsgefälles zwischen Arzt und Patient regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 - VI ZR 199/03 - juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.11.2016 - 8 U 143/13; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.07.2017 - 8 U 150/16 beide juris). Die Partei darf sich daher auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. BGH, Urteil vom 08.06....

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