Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit einer einstweiligen Anordnung zur Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen
Leitsatz (amtlich)
Einstweilige Anordnungen zur Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen gem. § 1631b BGB sind nach §§ 58 ff. FamFG mit der Beschwerde anfechtbar. Sie unterliegen nicht der Einschränkung der Vorschrift des § 57 FamFG, die den Ausschluss der Anfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen in Familiensachen regelt.
Normenkette
FamFG §§ 57-58; BGB § 1361b
Verfahrensgang
AG Leipzig (Beschluss vom 07.04.2010; Aktenzeichen 333 F 1023/10) |
Tenor
1. Die Beschwerde des betroffenen Jugendlichen gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Leipzig vom 7.4.2010 wird zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das Familiengericht hat mit dem angefochtenen Beschluss auf Antrag der allein sorgeberechtigten Mutter die vorläufige Unterbringung des Jugendlichen I, geboren am 1993, in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 18.5.2010 genehmigt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass I an einer emotionalen-instabilen Persönlichkeitsentwicklungs-störung - impulsiver Typus - mit polytoxikomanem Drogenmissbrauch leide und aufgrund seiner von ihm nicht mehr steuerbaren Gewalt- und Aggressionsbereitschaft eine erhebliche Gefahr bestehe, dass der Jugendliche sich und anderen gesundheitlichen Schaden zufüge. Es sei notwendig, eine sichere Diagnose zu stellen und mit dem Jugendlichen eine freiwillige Therapiemotivation zu erarbeiten. Da I derzeit eine
Behandlung ablehne, sei eine vorläufige geschlossene Unterbringung notwendig.
I befindet sich seit dem 5.4.2010 im ... Er wendet sich mit seiner durch den Verfahrensbeistand mit Schriftsatz vom 8.4.2010 eingelegten Beschwerde gegen seine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Zur Begründung führt der Verfahrensbeistand aus, das zuständige Jugendamt habe nicht ansatzweise versucht, eine Problemlösung auf andere, weniger schwerwiegende Weise zu erreichen.
Der betroffene Jugendliche habe sich bereits seit dem 1.2.2010 im Kinder- und Jugendnotdienst der aufgehalten, da eine Rückkehr in den mütterlichen Haushalt nicht möglich gewesen sei. Obwohl die sorgeberechtigte Mutter das Jugendamt seither nachhaltig um Unterstützung gebeten habe, sei sie vom Jugendamt lediglich darauf verwiesen worden, beim Familiengericht einen Antrag nach § 1631b BGB zu stellen. Zu einer Perspektive nach einer qualifizierten Entgiftung, der sich I freiwillig zu unterziehen bereit sei, habe sich das Jugendamt auch bisher nicht geäußert.
Das Jugendamt hat zum Beschwerdevorbringen Stellung genommen. Auf das Schreiben vom 21.4.2010 wird verwiesen.
II. 1. Die Beschwerde ist statthaft.
Das Verfahren über die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach § 1631b BGB ist gem. § 151 Nr. 6 FamFG eine Kindschaftssache und als solche eine Familiensache. Für dieses Verfahren sind jedoch - anders als für die anderen Familiensachen (§ 111 FamFG) - gem. § 167 Abs. 1 FamFG die für Unterbringungssachen nach § 312 Nr. 1 FamFG geltenden Vorschriften anzuwenden. Gemäß § 331 FamFG können zur Anordnung oder Genehmigung einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme auch einstweilige Anordnungen erlassen werden. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung richtet sich gem. § 51 Abs. 2 Satz 2 FamFG nach den Vorschriften, die für eine entsprechende Hauptsache gelten, soweit sich nicht aus den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergibt. Die Vorschriften über Unterbringungssachen (§§ 312 ff. FamFG) enthalten keine besonderen Regelungen über die Anfechtung von Unterbringungsentscheidungen, so dass der Erlass oder die Ablehnung von Unterbringungsmaßnahmen nach den allgemeinen Vorschriften (§ 58 ff. FamFG) anfechtbar sind (vgl. Bumiller/Harder, FamFG, 9. Aufl., § 331 Rz. 24; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 331 Rz. 10; Jurgeleit/Dieckmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, § 17 Rz. 165; Prüt-ting/Helms/Roth, FamFG, § 131 Rz. 18; Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, § 131 Rz. 24). Dies gilt auch für einstweilige Anordnungen.
Aufgrund der nach § 167 Abs. 1 FamFG umfassenden Geltung der für Unterbringungssachen maßgeblichen Vorschriften unterliegt die einstweilige Anordnung zur Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach § 1631b BGB auch nicht der Einschränkung der Vorschrift des § 57 FamFG, die den Ausschluss der Anfechtbarkeit einstweiliger Anordnungen in Familiensachen regelt (Prütting/Helms/Stößer, FamFG, § 57 Rz. 14; Kretz, Einstweilige Anordnungen in Betreuungs- und zivilrechtlichen Unterbringungssachen nach dem FamFG, BtPrax 2009, 160, 165, 166; andere Ansicht: OLG Koblenz, NJW 2010, 880). Die Anfechtbarkeit einer durch einstweilige Anordnung genehmigten, auch nur vorläufigen Unterbringung ist ...