Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Exequaturverfahren: Umwandlung einer polnischen in eine deutsche Haftstrafe. zum Begriff der "Flucht" im Sinne Art. 2 Abs. 1 ZP-ÜberstÜbk und Art. 68 Abs. 1 SDÜ. zur Anrechnung ausländischer Untersuchungshaft
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Entscheidung vom 16.04.2012; Aktenzeichen II StVK 55/11) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz in Döbeln vom 16. April 2012 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer ist polnischer und deutscher Staatsbürger. Er befindet sich derzeit in der Justizvollzugsanstalt Waldheim zur Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren neun Monaten, zu der ihn das Landgericht Bayreuth am 09. Mai 2008 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilt hatte (Az.: 123 VRs 12951/07 - StA Bayreuth). Zwei Drittel hatte der Beschwerdeführer, der sich erstmals im deutschen Strafvollzug befindet, am 25. Februar 2011 verbüßt; das Strafende ist derzeit auf den 25. September 2012 notiert.
Am 13. März 2003 war der Beschwerdeführer überdies in der Republik Polen vom Amtsgericht Swidnice wegen versuchter Vergewaltigung und Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden (Az.: II K 604/02). Die im Zeitraum vom 29. März 2002 bis 12. Dezember 2002 erlittene Untersuchungshaft sollte angerechnet werden.
In der Berufungsinstanz hat das Bezirksgericht in Swidnice die Vollstreckung dieser Strafe mit Urteil vom 28. November 2003 zur Bewährung ausgesetzt (Az.: IVC Ka 622/03), wobei es die Bewährungszeit auf vier Jahre festsetzte.
Nach Widerruf dieser Strafaussetzung durch das Amtsgericht in Swidnice am 21. Februar 2006 (Az.: II Ko 834/05) und entsprechender Ausschreibung des Verfolgten im Schengener Informationssystem (SIS) zur Festnahme und Auslieferung an die Republik Polen auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Swidnice vom 17. April 2009 (Az.: VIII Kop 43/09) war die Auslieferung des Verfolgten vom Senat wegen seiner (auch)deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 2 GG) für unzulässig erklärt worden. Der Verfolgte hatte seine Einwilligung nicht erteilt. Entsprechend hat die Generalstaatsanwaltschaft eine Bewilligung der Auslieferung mit Bescheid vom 31. Juli 2009 versagt.
Mit Schreiben vom 07. Februar 2011 ersuchte die Republik Polen auf dem vorgesehenen justizministeriellen Wege die deutschen Behörden um Übernahme der Strafvollstreckung der genannten Freiheitsstrafe (Az.: DWM II 470-320/10/12), weil sich der Verfolgte der Strafvollstreckung durch Flucht entzogen habe.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Chemnitz erklärte die örtlich zuständige Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz in Döbeln mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 16. April 2012 die Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Swidnice in Verbindung mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Swidnice vom 28. November 2003 und dem Beschluss des Amtsgerichts Swidnice vom 21. Februar 2006 für vollstreckbar, wandelte die Strafe in eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren nach deutschem Recht um und stellte zugleich fest, dass der Teil der Sanktion, der in der Republik Polen gegen den Verfolgten bereits vollstreckt war, im Verhältnis 1 : 1 angerechnet wird.
Gegen diesen seiner Verteidigerin am 19. April 2012 und ihm am 24. April 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 24. April 2012 rechtzeitig erhobene, indes nicht näher begründete sofortige Beschwerde des Verurteilten.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II. Die gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten ist unbegründet.
Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung gegen den (auch)deutschen Verurteilten am Maßstab der Artikel 67 bis 69 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (SDÜ) ausgerichtet.
1. Der Vollstreckungshilfeverkehr richtet sich im vorliegenden Fall nach dem Neunten Teil des IRG. Nach dessen § 84 finden die Vorschriften des Vierten Teils (Rechtshilfe durch Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse), sowie die allgemeinen Bestimmungen des Ersten Teils (Anwendungsbereich) und des Siebenten Teils (Gemeinsame Vorschriften) Anwendung.
Mit dieser durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union vom 06. Juni 2008 (BGBl. I S. 995) eingeführten Vorschrift hat der Gesetzgeber klargestellt, dass neben den in Bezug genommenen Vorschriften völkerrechtliche Vereinbarungen gemäß § 1 Abs. 3 IRG vorrangig sein können (BT-Drs. 16/6563 S. 14).
Als vorrangige völkerrechtliche Vere...