Leitsatz (amtlich)

Zur Zulässigkeit der Auslieferung eines tschetschenischen Volkszugehörigen an die Russische Förderation zum Zweck der Strafverfolgung.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 22.10.2008; Aktenzeichen 2 BvR 2028/08)

 

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation zur Verfolgung der im "Beschluss über die gerichtliche Belangung eines Beschuldigten" des Untersuchungsrichters der Staatsanwaltschaft des Rajons XXX vom 03. Juni 2003 (Strafsache Nr. XXX) genannten Taten wird für zulässig erklärt.

 

Gründe

I.

Der Senat hat gegen den am 02. November 2007 aufgrund einer Interpol-Ausschreibung der russischen Behörden festgenommenen Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet. Dem Auslieferungshaftbefehl liegt ein Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 28. November 2007 zugrunde. Danach besteht gegen den Verfolgten ein "Beschluss über die Sicherheitsmaßregel-Festnahme in Bezug auf den Gesuchten" vom 05. Juni 2006 des Richters des Stadtgerichts der Stadt XXX/Tschetschenische Republik in der Strafsache Nr. XXX. Dieser Beschluss nimmt Bezug auf den "Beschluss über die gerichtliche Belangung eines Beschuldigten" vom 03. Juni 2003 des Untersuchungsrichters der Staatsanwaltschaft des Rajons XXXXXXXXXXXXXX. Danach wird dem Verfolgten vorgeworfen, sich im Juni 2002 im Dorf XXXX-XXXX (XXXXXi-XXXX) im Rajon XXXXXXXXXXXXXX, Tschetschenische Republik, einer Bande angeschlossen zu haben, deren Hauptziel in der Bildung eines einheitlichen, von der Russischen Föderation unabhängigen islamischen Staates auf dem Territorium der nordkaukasischen Region gerichtet war. Als Mitglied dieser Bande soll der Verfolgte in der Nacht vom 15. auf den 16. September 2002 gemeinsam mit einem anderen Bandenmitglied in der XXXXXXXXXXstraße Nr. 3 in XXXX-XXXX die XXXXXXowa erschossen haben, weil sie mit den Behörden der Russischen Föderation zusammenarbeitete. Die zur Tatausführung benutzte Pistole "PM" und eine Kalaschnikow-Maschinenpistole soll der Verfolgte im Juni 2002 ohne Genehmigung erworben und mit sich getragen haben.

Diese Taten werden durch die russischen Strafverfolgungsbehörden als Mord gemäß Art. 105 Abs. 2 des russischen Strafgesetzbuches sowie als "ungesetzliche Erwerbung, Tragen und Aufbewahrung von Waffen" gemäß Art. 222 Abs. 2 des russischen Strafgesetzbuches bewertet.

In seinen Anhörungen vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Görlitz am 03. November 2007 sowie am 20. Dezember 2007 hat sich der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt.

Bei diesen Anhörungen hat der Verfolgte angegeben, nur für die Unabhängigkeit seiner Heimat gekämpft zu haben. Er sei gefoltert worden und habe nur deshalb "alle Papiere" unterschrieben. In russischer Untersuchungshaft müsse er mit unmenschlicher und erniedrigender Behandlung rechnen. Als tschetschenischer Widerstandskämpfer drohe ihm die Misshandlung sowohl von Mitgefangenen als auch vom Aufsichtspersonal bis hin zur Gefahr seiner Ermordung. Im Jahr 2002 sei er in die Republik Polen gegangen. In dieser Zeit habe man seinen Vater und einen Verwandten als Geisel genommen. Ihm sei gesagt worden, dass man seinen Vater und seinen Verwandten umbringen werde, wenn er nicht zurückkehre. Er habe deswegen das in Polen eingeleitete Asylverfahren beendet und sich wieder zurückbegeben. Seiner Erschießung sei er jedoch durch Flucht zuvorgekommen. Der in der Interpol-Ausschreibung genannten Mittäter sei im Vertrauen auf eine Amnestie zurückgekehrt und zwischenzeitlich erschossen worden; dies habe man zu Propagandazwecken ausgenutzt. In dem polnischen Asylverfahren habe man ihm nicht geglaubt. Man habe ihm lediglich einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in der Republik Polen zugestanden.

Im Übrigen entspreche die dem Auslieferungsverfahren zugrundegelegte Tat nicht den Tatsachen. Aus dem Auslieferungsersuchen ergebe sich auch kein genereller Verzicht auf die Verhängung einer etwaigen Todesstrafe.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Zu diesem Antrag hat der Verfolgte über seinen Beistand Stellung genommen. Er hält eine Auslieferung für unzulässig, weil ihm bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Aufgrund der gegenwärtigen Lage in Tschetschenien bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen verfolgt werde und ihm in russischen Gefängnissen Folter und unmenschliche Behandlung drohe. Schließlich bestünde auch die Möglichkeit, dass gegen ihn die Todesstrafe verhängt werde.

II.

Die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation zur Strafverfolgung erweist sich nach einer Gesamtwürdigung aller zu Tage getretenen Umstände als zulässig.

1. Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten sind gemäß Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk auslieferungsfähig. Sie wären auch nach deutschem Recht zumindest als Totschlag gemäß § 212 StGB und als Verstoß gegen § 52 WaffG strafbar und sind sow...

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