Leitsatz (amtlich)

Bewilligte Verfahrenskostenhilfe kann nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wegen verspäteter Mitteilung einer Anschriftenänderung nur aufgehoben werden, wenn diese Verspätung auf Absicht oder grober Nachlässigkeit beruhte. Grobe Nachlässigkeit liegt nicht bereits dann vor, wenn die Änderungsanzeige trotz Belehrung des Beteiligten über seine Mitteilungspflicht und die Rechtsfolgen aus § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO objektiv verspätet vorgenommen wird. Es bedarf vielmehr konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Sorgfaltspflichtverletzung des Beteiligten.

 

Verfahrensgang

AG Leipzig (Beschluss vom 05.07.2016; Aktenzeichen 340 F 773/14)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Vaters (ohne Datum, beim AG eingegangen am 05.08.2016) wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Leipzig vom 05.07.2016 - 340 F 773/14 - aufgehoben.

 

Gründe

I. Mit Beschluss vom 31.03.2014 hatte das Familiengericht dem Vater - Beschwerdeführer - ratenfreie Verfahrenskostenhilfe (VKH) für ein umgangsrechtliches Eilverfahren bewilligt. Im Rahmen des seit Dezember 2015 laufenden Überwachungsverfahrens zur VKH teilte der Vater im Februar 2016 im parallelen Hauptsacheverfahren eine neue Anschrift mit, unter der er seit September 2015 gemeldet war, gab ansonsten aber keine Erklärungen zu seinen aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen ab. Daraufhin hob das Familiengericht die VKH mit dem angefochtenen Beschluss auf.

Hiergegen hat der Vater in zulässiger Weise sofortige Beschwerde erhoben. Aufgrund umfangreicher Nachermittlungen, an denen der Vater nunmehr mitgewirkt hat, ist das Familiengericht zu dem Schluss gekommen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht verbessert haben, die sachlichen Voraussetzungen für die bewilligte VKH also weiterhin gegeben sind. Gleichwohl hat es der Beschwerde unter Berufung auf § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht abgeholfen, da der Vater seine geänderte Anschrift nicht unverzüglich (und daher schuldhaft verspätet) dem Gericht mitgeteilt habe. Dem vermag sich der Senat im Ergebnis nicht anzuschließen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 76 Abs. 1 FamFG liegen nicht vor.

1. Richtig ist, dass der Beschwerdeführer einen Umzug in eine neue Wohnung während des Zeitraums, in dem er der Anzeigepflicht gemäß § 120a Abs. 2 ZPO unterlag, erst nach mehreren Monaten dem Gericht zur Kenntnis gebracht hat. Dass die Änderungsanzeige rein tatsächlich unterblieben ist, reicht aber schon nach dem Gesetzeswortlaut als Aufhebungsvoraussetzung ebenso wenig aus wie schlichtes Vergessen seitens des mitteilungspflichtigen Beteiligten. Es muss vielmehr ein diesem vorwerfbares Fehlverhalten von erheblichem Gewicht festgestellt werden.

Dabei ist der Verschuldensmaßstab ("absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit") bei einer verspäteten Adressenänderungsanzeige nicht etwa geringer als in den anderen Tatbestandsalternativen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Insbesondere teilt der Senat nicht die Auffassung, die vorgenannten subjektiven Tatbestandsmerkmale seien im Falle einer verspäteten Erfüllung der Mitteilungspflicht von vornherein nicht heranzuziehen, weil mit der Pflicht zur "unverzüglichen" Anzeige ein eigenständiger Verschuldensmaßstab ("ohne schuldhaftes Zögern") verbunden sei. Denn dieser aus § 121 BGB abgeleitete Verschuldensmaßstab ist deutlich geringer, als es grobe Nachlässigkeit oder gar Absicht wären. Es ist indes sinnwidrig, die gleiche Sanktionsfolge (Verlust der VKH) unter Heranziehung eines niedrigeren Verschuldensmaßstabs umso eher greifen zu lassen, je geringer der Unwertgehalt des Mitteilungsverstoßes ausfällt. Unterlässt es der mitwirkungspflichtige Beteiligte, eine wesentliche Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse anzuzeigen, wozu er seit 01.01.2014 von sich aus gehalten ist, und versucht er damit (zumindest dem äußeren Geschehensbild nach), sich eine ungerechtfertigte Zuwendung aus der Staatskasse zu erhalten, so wird die Sanktion erst ausgelöst, wenn ihm dabei Absicht oder grobe Nachlässigkeit nachgewiesen werden kann. Demgegenüber soll die Verpflichtung, eine Anschriftenänderung unverzüglich mitzuteilen, ohnehin nur sicherstellen, dass der Beteiligte für das Gericht im VKH-Überwachungsverfahren unproblematisch erreichbar bleibt, hat also eine reine Hilfsfunktion. Bei einem Pflichtenverstoß des Beteiligten in diesem eher nachgeordneten Bereich ohne weiteres die gleiche Rechtsfolge wie oben unter subjektiv deutlich weiteren Voraussetzungen eintreten zu lassen, und dies gerade auch in Fällen, in denen der Pflichtige seinen Fehler selbst behebt, hält der Senat weder vom Wortlaut noch durch Sinn und Zweck von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO veranlasst (im Ergebnis ebenso LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.2015, Rechtspfleger 2015, 654).

2. Auch die unterlassene Mitteilung einer Adressenänderung muss mithin auf Absicht oder grober Nachlässigkeit beruhen. Beides liegt hier nicht...

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