Leitsatz (amtlich)
1. Die Betriebsgefahr einer Straßenbahn tritt regelmäßig hinter dem groben Eigenverschulden des Fahrgastes an seinem Sturz in der Straßenbahn zurück.
2. Zu den Voraussetzungen eines Mitverschuldensvorwurfs an den Fahrgast in diesen Fällen; Anscheinsbeweis für unzureichende Eigensicherung des Fahrgastes. (Die Berufung wurde aufgrund des Hinweisbeschlusses zurückgenommen.)
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 4 O 2367/12) |
Tenor
I. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9.4.2014 wird - ersatzlos - aufgehoben; die Parteien sind abzuladen.
II. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Gründe
Der Hinweisbeschluss beruht auf § 522 Abs. 2 ZPO. Der Senat ist - einstimmig - der Überzeugung, dass die Berufung der Klägerin offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg besitzt, die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats (durch Urteil) erfordert. Ebenso wenig ist im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung geboten.
Das LG hat die Klage zutreffend abgewiesen.
1. Rechtsfehlerfrei ist das LG davon ausgegangen, dass ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2) aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzvorschriften der Straßenverkehrsordnung hier nicht in Betracht kommt. Sonstige Anspruchsgrundlagen gegen die Beklagte zu 2) sind nicht ersichtlich.
Auch die Berufung vermag nicht in Zweifel zu ziehen, dass die Voraussetzungen für einen schuldhaften Verstoß der Beklagten zu 2) gegen § 25 StVO hier nicht vorliegen. Schon aufgrund der Entfernung zu den Straßenbahngleisen (ca. 5 m) kann ein Verstoß der Beklagten zu 2) gegen ihre Verpflichtung aus § 25 StVO hier nicht hergeleitet werden. Die Beklagte zu 2) war nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt noch nicht in einen Bereich vorgedrungen, in dem sie gem. § 25 Abs. 3 bzw. Abs. 5 StVO an der dafür vorgesehenen Stelle die Straßenbahnschienen unter Beachtung des Vorrangs der herannahenden Straßenbahn hätte nicht überqueren dürfen bzw. rechtzeitig hätte zu erkennen geben müssen, dass sie diesen Vorrang auch tatsächlich einhalten würde. Es ist grundsätzlich nicht verboten, sich schnellen Schrittes und mit gesenktem Blick als Fußgänger fortzubewegen, soweit andere dadurch nicht gefährdet werden. Insoweit fehlt es, unabhängig von der Frage des Verschuldens, schon an einer rechtswidrigen Handlung.
Nach den zugrunde zu legenden Feststellungen lässt sich zu Lasten der Beklagten zu 2) auch kein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 2 StVO herleiten. Dabei kann offen bleiben, ob ein Fußgänger sich gemessen an § 1 Abs. 2 StVO jedenfalls im unmittelbaren Gefahrenbereich bei Herannahen einer Straßenbahn so verhalten muss, dass eine durch sein Verhalten naheliegende Fehleinschätzung tunlichst vermieden wird. Im vorliegenden Fall, in dem sich die Beklagte zu 2 - unstreitig - noch ca. 5 m, noch dazu in der Nähe eines ohnehin stärker durch Fußgänger frequentierten Haltestellenbereichs (Hauptbahnhof), bewegte, lässt sich allein deshalb ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO nicht herleiten.
Mit der Frage, ob der Straßenbahnfahrer aus seiner Sicht, etwa darauf vertrauen durfte, dass die Beklagte zu 2 noch rechtzeitig sein Vorfahrtrecht achten würde, hat dies nichts zu tun. Dies betrifft vielmehr die Frage, ob neben der reinen Gefährdungshaftung in die Abwägung zu Lasten der Beklagten zu 1 auch ein schuldhaftes Verhalten des Straßenbahnfahrers einzustellen ist (dazu unten).
2. Nicht zu beanstanden ist im Ergebnis auch, dass das LG die Klage gegen die Beklagte zu 1 abgewiesen hat. Ein Anspruch gem. § 1 Abs. 1 HaftpflG ist zwar dem Grunde nach mit dem LG zu bejahen, tritt aber wegen des weit überwiegenden Eigenverschuldens der Klägerin (§§ 4 HaftpflG, 254 Abs. 1 BGB) hier völlig in den Hintergrund. Auch ein daneben möglicher Anspruch aus §§ 823, 31 BGB oder aber § 831 BGB scheidet im vorliegenden Fall aus, ebenso wie ein Anspruch aus Schlechterfüllung des Beförderungsvertrags (§§ 611, 280 BGB).
a) Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, muss ein Fahrgast einer Straßenbahn damit rechnen, dass - außerhalb von Fahrfehlern - bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen. Er ist deshalb selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen einer Straßenbahn oder eines Linienbusses nicht zu Fall kommt und muss sich Halt auch gegen plötzliche Bewegungen der Straßenbahn verschaffen (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 5.4.1995 - 12 U 63/95, juris; OLG Dresden, Urt. v. 21.2.2006 - 13 U 2195/05, juris; vgl. auch LG Dresden, Urt. v. 12.5.2010 - 4 O 3263/09, NZV 2011, 202). Der Fahrgast muss in diesem Zusammenhang durchaus auch jederzeit mit einem scharfen Bremsen des Verkehrsmittels rechnen (vgl. nur KG, Urt. v. 1.3.2010 - 12 U 95/09, MDR 2010, 1111). Dies gilt, wie der Senat a...