Entscheidungsstichwort (Thema)
Straßenbahn; Rücknahme
Leitsatz (amtlich)
Der Fahrgast einer Straßenbahn muss damit rechnen, dass - außerhalb von Fahrfehlern - bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen; es ist daher selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen einer Straßenbahn oder eines Linienbusses nicht zu Fall kommt und muss sich Halt auch gegen unvorhersehbare Bewegungen verschaffen. Der Fahrgast muss jederzeit mit einem scharfen Bremsen des Verkehrsmittels rechnen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 106/08) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
I. Die Klägerin, Geburtsjahr 1923, kam am 12.9.2007 in einer von dem Beklagten zu 1) geführten und der Beklagten zu 2) betriebenen Straßenbahn zu Fall. Sie begehrt deswegen Schadensersatz, Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle und immaterielle Schäden.
Die Klägerin nahm in der Straßenbahn zunächst einen Sitzplatz ein und stand, weil sie einer gegenüber sitzenden gehbehinderten Frau beim Entwerten ihres Fahrscheins behilflich sein wollte, während der Fahrt auf, ging zum Fahrscheinentwerter und kam, als sie am Entwerter stand, durch ein Bremsen des Beklagten zu 1) zu Fall, das dieser wegen eines vor der Straßenbahn befindlichen Pkw einleitete.
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe sich mit beiden Händen festgehalten, als sie zum Entwerter gegangen sei. Durch eine plötzliche und erhebliche Bremsverzögerung sei sie am Fahrscheinentwerter stehend mit voller Wucht mit dem Rücken und dem Kopf auf den Boden aufgeschlagen. Sie habe sich hierbei verletzt.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Das LG hat die Klageabweisung hinsichtlich der am Berufungsverfahren allein noch beteiligten Beklagten zu 2) im Wesentlichen damit begründet, dass die Betriebsgefahr der Straßenbahn ggü. dem hohen Eigenverschulden eines Fahrgastes zurücktrete, wenn dieser grob fahrlässig handle, indem er bei bereits angetretener Fahrt von seinem Sitz wieder aufstehe. Dies stehe hier nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest; denn nach ihrer eigenen Einlassung habe sich die Klägerin nämlich nur mit der rechten Hand festgehalten, während sie die linke Hand zum Entwerten des Fahrscheins benutzt habe. Sie habe die linke Hand zum Entwerten des Fahrscheins benutzt, weil sie am rechten Arm bereits vor dem Unfall operiert gewesen sei, an Osteoporose gelitten habe und den rechten Arm nicht mehr so hoch habe strecken können, wie es für das Einführen des Fahrscheins in den Entwerter erforderlich gewesen sei. Damit habe die Klägerin gegen das Gebot verstoßen, sich während der Fahrt festen Halt zu verschaffen, weil sie sich von ihrer Sitzposition wieder erhoben habe und sich am Entwerter nur mit einer Hand, darüber hinaus auch noch mit der offenbar weniger belastbaren, festgehalten habe. Zudem werte die Rechtsprechung den Umstand, dass ein Fahrgast in einer Straßenbahn zu Fall gekommen sei, als Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche Unachtsamkeit. Diesen habe die Klägerin weder widerlegt noch entkräftet.
Ebenfalls verneint hat das LG Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1 BGB. Es stehe nicht fest, dass sich der Beklagte zu 1) pflichtwidrig verhalten habe, so dass sich die Beklagte zu 2) über § 278 BGB keine Pflichtverletzung zurechnen lassen müsse. Eine sonstige etwaige vertragliche Pflichtverletzung durch Unterlassen der Speicherung von Unfalldaten sei jedenfalls nicht kausal für den eingetretenen Schaden.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, soweit die Klage gegen die Beklagte zu 2) abgewiesen worden ist.
Die Klägerin macht geltend, die Wertung des LG, dass das hohe Eigenverschulden der Klägerin die Haftung der Beklagten zu 2) zurücktreten lassen, halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin habe sich mit der rechten Hand festgehalten. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sie trotz der Osteoporoseerkrankung eine durchschnittliche Haltekraft besessen. Damit sei die Annahme des LG falsch, die Klägerin habe sich mit der schwächeren Hand festgehalten. Das Festhalten mit nur einer Hand sei auch entgegen der Annahme des LG unschädlich, weil es nach zutreffender herrschender Meinung genüge.
Ferner hätte das LG eine eigenständige Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) im Hinblick auf die Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB prüfen müssen. Der Beklagte zu 1) habe ausgesagt, dass er der Meinung sei, dass keine Unfalldaten gespeichert seien, weil die Weisung, sie durch Drücken der sog. Unfalltaste zu sichern, von der zuständigen Leitstelle nicht erfolgt sei. Das Unterlassen der Speicherung der Unfalldaten stelle den Tatbestand der Urkundenunterdrückung dar. Aus dem Beförderungsvertrag ergebe sich, dass die Rekonstruktion von Unfällen mittels technischer Aufzeichnungen nicht im Belieben der Beklagten zu 2) stehe. Das Vernichten der Unfalldaten führe im Ergebnis dazu,...