Leitsatz (amtlich)

1. Die Überschreitung des Gutachtensauftrags rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen nur dann, wenn sich aus dem sonstigen Verhalten des Sachverständigen Belastungstendenzen entnehmen lassen, die den Eindruck der Voreingenommenheit rechtfertigen.

2. Der Streitwert eines Beschwerdeverfahrens über den gegen einen Sachverständigen gerichteten Befangenheitsantrag beträgt regelmäßig 1/3 der Hauptsache.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 2822/17)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichtes Dresden vom 09.04.2020 - 8 O 2822/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.261,24 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Sie ist gelernte Altenpflegerin und war zuletzt in diesem Beruf tätig. Am 02.01.2016 musste sie sich wegen einer akuten Darmerkrankung einer Notoperation unterziehen. Seit 01.06.2016 beschäftigt sie ihr Arbeitgeber als Mitarbeiterin für Pflege u.a. mit arzthelferischen Tätigkeiten. Das Landgericht hat die Klägerin und eine Zeugin angehört und mit Beschluss vom 29.05.2019 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die Klägerin nach der Bauchoperation vom 02.01.2016 in der Lage ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50 % auszuüben, angeordnet. Der beauftragte Sachverständige Dr. S... hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 13.01.2020 diese Frage verneint und u.a. folgendes ausgeführt:

"Die aktuelle Tätigkeit ist in ihrem geschilderten Umfang und in ihrer Art und Weise nicht annähernd mit der vor der Notoperation vergleichbar ..."

Die Beklagte hat den Sachverständigen mit Schriftsatz vom 11.03.2020 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und beanstandet, dass es an einer persönlichen Untersuchung der Klägerin fehle und der Sachverständige seinen Gutachterauftrag durch eine berufskundliche Bewertung überschritten habe.

Das Landgericht Dresden hat mit Beschluss vom 09.04.2020 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Gegen den der Beklagten am 22.04.2020 zugestellten Beschluss hat sie mit am 05.05.2020 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass der Sachverständige seinen Gutachtenauftrag überschritten und sich zu einem berufskundlichen Thema geäußert habe, obwohl ihm dafür die Fachkompetenz fehle. Durch die Formulierung "nicht annähernd vergleichbar" habe der Sachverständige eine einseitige Darstellung vorgenommen und sich quasi an die Stelle des Gerichtes gesetzt.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie zur Entscheidung dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Die gemäß §§ 406 Abs. 5, 567, 569 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Ablehnung des Sachverständigen Dr. S... wegen Besorgnis der Befangenheit ist nicht gerechtfertigt gemäß §§ 406 Abs. 1, 42 ZPO. Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen Partei geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken (vgl. Senat, Beschl. v. 12.12.2017 - 4 W 1113/17 - juris). Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (Senat, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass das Absehen von einer persönlichen Untersuchung nicht den Anschein einer Befangenheit rechtfertigen kann, denn das Landgericht hat dies ausdrücklich in das Ermessen des Sachverständigen gestellt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde nicht.

Auch die Überschreitung des Gutachtenauftrages führt nicht zwangsläufig zu einer Besorgnis der Befangenheit (vgl. Senat, a.a.O.). Ob die Überschreitung eines Gutachterauftrages geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, ist einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich, sondern kann nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden (vgl. BGH, Beschl. v. 11.04.2013 - VII ZB 32/12 - juris). Notwendig ist darüber hinaus die Feststellung, dass sich dem Verhalten des Sachverständigen zusätzlich zur Überschreitung des Gutachtenauftrages Belastungstendenzen entnehmen lassen, die bei vernünftiger Betrachtung den Eindruck der Voreingenommenheit zu erwecken vermögen (vgl. Senat, a.a.O.). Dies ist hier nicht der Fall. Der Sachverständige war mit der Beantwortung der Frage beauftragt, ob die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, ihre zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit zu mindestens 50 % wegen der Bauchoperation vom 02.01.2016 durchzuführen. Streitgegenstand i...

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