Normenkette
BGB § 1674
Verfahrensgang
AG Dresden (Aktenzeichen 304 F 1277/02) |
Tenor
I. Der Beschluss des AG – FamG – Dresden vom 24.9.2002 wird in Ziffer 1 aufgehoben sowie in Ziff. 2 S. 2 abgeändert.
II. Es wird festgestellt, dass die elterliche Sorge der Mutter für das Kind V.H., geboren am …, seit dem 26.9.2002 ruht.
III. Zum Einzelvormund wird Frau G.G., … bestimmt.
IV. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
V. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter des betroffenen Kindes V.H., geboren am … . Sie wendet sich gegen den Entzug des Sorgerechts.
Mit Urteil des AG Dresden vom 24.4.2001, rechtskräftig seit 13.7.2001, wurde sie wegen verschiedener Vermögensdelikte unter Einbeziehung weiterer Vorstrafen zu mehreren Freiheitsstrafen von insgesamt zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Seit ihrer Festnahme am 26.9.2002 verbüßt sie diese und eine weitere Strafe von einem Jahr und vier Monaten in der Justizvollzugsanstalt …. Unter Bezug auf diese Verurteilung, den geäußerten Kindeswillen sowie die Stellungnahmen des Jugendamtes und der Verfahrenspflegerin, die sich für einen Verbleib des Kindes bei der Familie L., bei der sich V. derzeit aufhält, ausgesprochen hatten, hat das AG der Mutter mit Beschluss vom 24.9.2002 die elterliche Sorge nach §§ 1666, 1666a, 1697 BGB insgesamt entzogen und zugleich den Großvater des Kindes, Herrn M.J., zum Vormund eingesetzt.
Hiergegen richtet sich die am 1.11.2002 erhobene Beschwerde der Mutter, mit der diese geltend macht, das AG habe die Maßstäbe der §§ 1666, 1666a BGB verkannt. Allein aus ihrer strafrechtlichen Verurteilung könne nicht auf eine missbräuchliche Ausübung des Sorgerechts geschlossen werden, zumal sie sich im Zusammenhang mit ihrem Haftantritt bemüht habe, für V. eine Unterbringung zu ermöglichen, die dem Wohl des Kindes entspreche. Das AG habe überdies den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend gewahrt, indem es vor einer Entziehung des Sorgerechts nicht geprüft habe, ob andere, weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht zu ziehen seien.
Der Senat hat in der nichtöffentlichen Verhandlung vom 24.2.2003 das betroffene Kind und die weiteren Beteiligten angehört. Für das Ergebnis der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
II. Die gem. § 621e Abs. 1, 3 i.V.m. §§ 517, 518, 520 ZPO zulässige, insb. fristgemäß erhobene Beschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Zugleich war aber gem. § 1674 BGB von Amts wegen das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen. Hieran ist der Senat auch nicht unter dem Gesichtspunkt gehindert, dass er nicht über einen anderen Verfahrensgegenstand als das AG entscheiden darf. Denn im Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB sind alle Tatsachen Verfahrensgegenstand, die einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht rechtfertigen können. Ein solcher Eingriff ist aber sowohl bei § 1666 BGB als auch im Rahmen des § 1674 BGB erforderlich (so auch OLG Hamm v. 13.2.1996 – 15 W 434/95, FamRZ 1996, 1029 f.).
Das FamG hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass nicht jede Gefährdung des Kindeswohls durch das Verhalten der Eltern oder eines Elternteils einen Entzug der elterlichen Sorge rechtfertigt. Aus dem in § 1666a Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass ein Entzug der gesamten Personensorge nur dann erfolgen darf, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen. Auch im Übrigen ist eine zurückhaltende Anwendung bei Eingriffen auf der Grundlage des § 1666 BGB geboten, wie sie bis zum In-Kraft-Treten des KindRG auch von den bis dahin zuständigen Vormundschaftsgerichten praktiziert wurde (Schwab/Motzer, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., III Rz. 174). Soweit das AG die Gefährdung des Kindeswohls in der strafgerichtlichen Verurteilung der Mutter gesehen hat, reicht dies allein für eine Sorgerechtsentziehung nach §§ 1666, 1666a BGB noch nicht aus. Die vorgetragenen Einmietbetrügereien legen zwar nahe, dass die Beschwerdeführerin massiv und nachhaltig das psychische und seelische Wohl V. beeinträchtigt hat, indem sie diese gegen ihren Willen in die Begehung von Straftaten mit einbezog. Milieubedingte Gefährdungen wie die Verstrickung in erhebliche Straftaten können grundsätzlich auch den vollständigen Entzug der elterlichen Sorge rechtfertigen (vgl. Schwab-Motzer, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., III Rz. 177). Der nachhaltige Missbrauch des Kindes zur Begehung von Straftaten ergibt sich aber weder aus der vom Senat beigezogenen Strafakte noch lässt er sich den im Verfahren abgegebenen Stellungnahmen der Beteiligten mit hinreichender Präzision, insb. was Zeitpunkte und Häufigkeit betrifft, entnehmen. Ob durch diese Vorfälle in der Vergangenheit die Erziehungsfähigkeit der Mutter auch für die Zukunft ...