Leitsatz (amtlich)

1. Die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 Abs. 1 ZPO kann regelmäßig nicht unter Verweis auf eine mögliche Notgeschäftsführerbestellung analog § 29 BGB abgelehnt werden.

2. Zu den Anforderungen an eine Gefahr im Verzug im Sinne des § 57 Abs. 1 ZPO.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 6 O 1889/19)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin vom 13.02.2020 wird der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 29.01.2020 - 6 O 1889/19 - aufgehoben. Es wird angeordnet, dass für die Beklagte 1) ein Prozesspfleger zu bestellen ist. Die Entscheidung über die Auswahl des Prozesspflegers wird dem Landgericht Chemnitz übertragen und hierzu das Verfahren an das Landgericht Chemnitz zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat sich im Jahr 2013 als Treuhandkommanditistin mit Beteiligungsbeträgen von insgesamt 48.000,00 Euro an der V. GmbH & Co. KG beteiligt. Sie nimmt u.a. die Beklagte 1), eine Vertriebsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese Beratungs- und Aufklärungspflichten verletzt habe.

Geschäftsführer der Beklagten 1) war zuletzt C ... P ... Am 22.02.2019 wurde in das Handelsregister eingetragen, dass dieser als Geschäftsführer ausgeschieden sei (Anlage K 7).

Am 19.12.2019 erhob die Klägerin Klage und beantragte zugleich, für die Beklagte 1) einen Prozesspfleger nach § 57 Abs. 1 ZPO zu bestellen. Da nicht absehbar sei, wann und ob überhaupt ein neuer Geschäftsführer bestellt werde, liege Gefahr im Verzug vor. Ohne eine Vertretung der Beklagten sei zu befürchten, dass die Beklagte in Insolvenz gehe, ein Urteil nicht rechtzeitig erlangt werden könne und überdies die Vollstreckung gefährdet werde.

Unter dem 17.01.2020 wies das Landgericht darauf hin, dass die Ausführungen der Klägerin zu Zeitverzögerungen und ihr entstehenden Nachteilen nicht ausreichten, um eine Gefahr im Verzug im Sinn des § 57 Abs. 1 ZPO zu begründen, woraufhin die Klägerin weitere Erwägungen im Schriftsatz vom 27.01.2020 vortrug.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29.01.2020 hat das Landgericht den Antrag auf Bestellung eines gesetzlichen Vertreters für die Beklagte 1) zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 57 ZPO nicht vorlägen. Es obliege der Klägerin, die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch den Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit herbeizuführen. Es sei nicht ersichtlich, dass ein hierdurch entstehender zeitlicher Aufschub mit erheblichen Nachteilen für die Klägerin verbunden wäre. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgrund der Verfügung vom 29.01.2020, abgefertigt am 10.02.2020, formlos übersandt.

Das Landgericht hat im Nachgang die Klage an die Beklagte 1) nicht nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, sondern öffentlich zugestellt.

Am 14.02.2020 ging beim Landgericht der Schriftsatz der Klägerin vom 13.02.2020 ein, in dem sie auf den Beschluss des Landgerichts vom 29.01.2020 Bezug nimmt. Sie vertritt die Auffassung, dass das weitere Fehlen eines Geschäftsführers zeige, dass die Beklagte 1) den Umstand der Führungslosigkeit nutze, um sich auf Dauer den von Anlegern geltend gemachten Schadensersatzansprüchen zu entziehen. Der Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 Abs. 1 ZPO werde deshalb aufrechterhalten.

Nach Hinweiserteilung des Landgerichts mit Verfügung vom 19.02.2020, wonach über den Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers bereit (abschlägig) entschieden worden sei, reichte die Klägerin im weiteren Verfahrensverlauf einen mit "Beschwerde" überschriebenen Schriftsatz vom 24.04.2020, eingegangen am 04.05.2020, zu den Akten und begehrte erneut die Bestellung eines Prozesspflegers. Sie verwies ergänzend darauf, dass der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft der Beklagten 1) weiterhin keine Bestellung eines Geschäftsführers plane. Es sei (dauerhaft) nicht mit der Berufung eines Geschäftsführers zu rechnen, sodass es der Bestellung eines Prozesspflegers notwendig bedürfe. Mit der § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG widersprechenden Nichtbestellung eines Geschäftsführers innerhalb eines Jahres sei zugleich die Gefahr verbunden, dass die Verwirklichung der Rechte der Klägerin vereitelt werde.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 12.05.2020 nicht abgeholfen, weil keine konkrete Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 ZPO ersichtlich sei und sich der Vorrang einer Bestellung des gesetzlichen Vertreters durch den Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus dem Vorschriftenwortlaut ergebe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Auf den Antrag der Klägerin ist der Beklagten 1) ein Prozesspfleger nach § 57 Abs. 1 ZPO zu bestellen. Der Senat hebt den angegriffenen Beschluss des Landgerichts vom 29.01.2020 auf und ordnet die Bestellung eines Prozesspflegers an. Hinsichtlich der Auswahl eines vertretungsbereiten Prozesspflegers wird das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen.

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zu...

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