Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung: Besorgnis der Befangenheit bei langandauernder Untätigkeit in einem Bauprozess über einen Großauftrag trotz Sachstandanfragen

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Befangenheit des abgelehnten Richters kann ausnahmsweise zu besorgen sein, wenn er den fortgeschrittenen Bauprozess ohne erkennbaren Grund über lange Zeit hinweg nicht weiter fördert und auf wiederholte Erinnerungen und Anträge des Klägers, der beträchtlichen Werklohn fordert, schlicht nicht mehr reagiert. § 42 Abs. 2 ZPO(Rz. 13)

 

Normenkette

ZPO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Beschluss vom 08.05.2009)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Dresden vom 8.5.2009 abgeändert und das Ablehnungsgesuch gegen den Richter X. für begründet erklärt.

2. Beschwerdewert: 119.770,29 EUR

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten, die als ARGE Generalauftragnehmer für die Errichtung eines Großbauvorhabens waren, auf Zahlung von Resthonorar i.H.v. knapp 120.000 EUR für haustechnische Planungsleistungen in Anspruch. Sie hat die Klage im April 2004 eingereicht und gegen den zuständigen Einzelrichter mit Schriftsätzen vom 18.3.2009 wegen aus ihrer Sicht gänzlich ungebührlicher Verfahrensverzögerung einerseits Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben, andererseits ein Ablehnungsgesuch ausgebracht. Mit Beschluss vom 8.5.2009 hat die für Richterablehnungen zuständige 2. Zivilkammer das Befangenheitsgesuch für unbegründet erklärt. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin. Hilfsweise beantragt sie im Rahmen einer Untätigkeitsbeschwerde, die Vorinstanz anzuweisen, dem Verfahren Fortgang zu geben. Das LG hat der sofortigen Beschwerde am 16.6.2009 nicht abgeholfen. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmittel einschließlich der Untätigkeitsbeschwerde zurückzuweisen.

II. Die gem. §§ 46 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist begründet, weil beim abgelehnten Einzelrichter des LG eine Befangenheit zu besorgen ist, § 42 Abs. 1 ZPO.

1. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nicht erforderlich ist dabei, dass der Richter tatsächlich befangen ist; ebenso ist unerheblich, ob er sich für befangen hält. Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt einer ruhig und vernünftig denkenden Partei aus Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (statt aller Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 42 Rz. 9 m.w.N.). Die bloße Untätigkeit des Richters über einen gegebenenfalls auch längeren Zeitraum stellt im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund dar, weil sie die Parteien gleichermaßen belastet und aus ihr regelmäßig keine der Parteien folgern kann, der Richter stehe der Sache nicht unparteiisch gegenüber (vgl. OLG Dresden OLGReport Dresden 2001, 129). Anders kann es aber ausnahmsweise unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles liegen. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Richter eine Sache unter Nichtbeantwortung von Erinnerungsschreiben der Partei langandauernd nicht bearbeitet und dieses Vorgehen aus der verständigen Sicht eines in gleicher Weise wie die Partei auf Rechtsgewährung angewiesenen Dritten einer Rechtsverweigerung nahe kommt (vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1992, 192; OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 444; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2000, 36; OLG Brandenburg OLG-NL 2000, 263).

2. Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben.

a) Faktisch hat der abgelehnte Richter, wie der angefochtene Beschluss nicht erörtert, obwohl das Ablehnungsgesuch maßgeblich auch hierauf gestützt ist, nach dem letzten Zeugenbeweisaufnahmetermin vom 17.1.2007 - sowie einer kurzen Antwort vom 05./6.3.2007 zu einer Rückfrage der Klägerin zum Akteneinsichtsgesuch eines Dritten - nach Aktenlage über mehr als ein Jahr hinweg nichts getan, um die Sache weiter zu fördern.

Den auf den 21.3.2007 anberaumten Verkündungstermin ließ er ohne Angabe von Gründen oder auch nur Mitteilung an die Parteien verstreichen. Eine Sachstandsanfrage der Klägerin vom 14.5.2007 samt Bitte, dem Verfahren Fortgang zu geben, blieb unbeantwortet. Nach dem mit der sofortigen Beschwerde weiter spezifizierten - aufgrund des damit übereinstimmenden Inhalts des Schriftsatzes vom 6.9.2007 ohne weiteres glaubhaften - Vorbringen der Klägerin ergaben telefonische Nachfragen ggü. dem LG im Juni 2007, dass der Richter den Verkündungstermin "intern" nunmehr auf den 13.7.2007 verlegt habe, und erfolgten später weitere vergebliche fernmündliche Nachfragen. Mit Schriftsatz vom 6.9.2007, der als Telefax an diesem Tag beim LG eingegangen, allerdings bislang nicht ordnungsgemäß in die Hauptakte bzw. das Fax-Unterheft eingeheftet, sondern im Aktendeckel aufbewahrt worden ist, bat die Kläge...

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