Leitsatz (amtlich)

Allein der Umstand, dass zwei Gerichtsinstanzen in einer für die Entscheidung erheblichen Frage (hier: Anwendung von § 56 Abs. 1 StGB) zu unterschiedlichen Ansichten kommen, begründet noch nicht eine für jeden juristischen Laien /"schwierige Rechtslage"/ i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO, so dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers notwendig gewesen wäre (entgegen OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 336 ff). Bei der Beurteilung der Bewährungsmöglichkeit handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage im vorgenannten Sinne, vielmehr stellt diese Kriminalprognose eine Sachentscheidung dar, die für den jeweiligen Einzelfall - auch aufgrund weiterer Tatsachenerkenntnisse im Berufungsverfahren - zu treffen ist.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Entscheidung vom 11.11.2004; Aktenzeichen 12 Ns 150 Js 17743/04)

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 11. November 2004 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Grimma verurteilte den Angeklagten am 29. Juni 2004 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Zugleich ordnete es an, dass dem Angeklagten vor Ablauf von zwölf Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe.

Am 11. November 2004 hob das Landgericht Leipzig auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung auf. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet und zugleich eine Verfahrensrüge erhebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Leipzig zurückzuverweisen. Sie ist der Auffassung, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO sei gegeben; die Mitwirkung eines Verteidigers sei im Berufungsverfahren erforderlich gewesen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

1.

Soweit der Angeklagte die formelle Rüge der §§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO erhebt und geltend macht, er sei in der Hauptverhandlung trotz Vorliegens eines Falles der notwendigen Verteidigung nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen, führt dies nicht zur Aufhebung des Urteils.

a)

Zwar genügt die Revisionsbegründung gerade noch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil dem Senat aufgrund der gleichzeitig erhobenen Sachrüge und der darin liegenden stillschweigenden Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 344 Rdnr. 20 m.w.N.) die ergänzenden Tatsachen mitgeteilt werden, die in der Revisionsbegründungsschrift fehlen, aber zur Prüfung der Frage erforderlich sind, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen. Erst aus den Urteilsgründen selbst (UA S. 5) ergibt sich nämlich, dass der Angeklagte am 18. März 2003 vom Amtsgericht Hainichen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden war, für die ein Widerruf der gewährten Strafaussetzung drohen kann, wenn der Angeklagte in vorliegender Sache verurteilt werden würde. Im Fall des § 140 Abs. 2 StPO muss die Revision aber gerade darlegen, warum die "Schwere der Tat" bzw. "die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" oder die "Unfähigkeit zur Selbstverteidigung" die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich machen (OLG Hamm NStZ-RR 2001, 373).

b)

Entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers und der Generalstaatsanwaltschaft liegt der geltend gemachte Verfahrensverstoß nicht vor. Ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO war nicht gegeben.

aa)

Nach dieser Vorschrift ist einem Angeklagten zunächst wegen der "Schwere der Tat" ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wobei sich diese Beurteilung nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte vor allem an der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung orientiert (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 140 Rdnr. 23 f.; OLG Frankfurt StV 1995, 628 m.w.N.). Die "Schwere der Tat" im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO beurteilt sich dabei zwar vorrangig nach der Höhe der Strafe, die der Angeklagte in dem jeweiligen Strafverfahren zu erwarten hat, wobei die Grenze etwa bei einem Jahr Freiheitsstrafe zu ziehen ist (vgl. KG StV 1982, 412; BayObLG StV 1985, 447; Meyer-Goßner, a.a.O. § 140 Rdnr. 23 m.w.N.). Die "Schwere der Tat" kann sich aber auch aus den sonstigen Auswirkungen der verhängten Sanktion auf das Leben des Angeklagten ergeben, wenn diese Auswirkungen erheblich sind, wobei maßgeblich auf die Interessenlage des Angeklagten abzustellen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 1995 - 4 Ws 96/95 -). Daher kann - was der Revision zuzugeben ist - auch bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe die Beiordnung eines Verteidigers geboten sein, wenn als Folge dieser Ve...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge