Leitsatz (amtlich)
1. Die fehlende Dokumentation einer ärztlichen Maßnahme begründet die Vermutung, dass diese unterblieben ist, führt jedoch nicht zur Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs.
2. Maßgeblich für eine Aufklärungspflicht über ein Risiko ist, ob dieses dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet; das Risiko des kindlichen Schädelbruchs bei einer Saugglockenentbindung zählt hierzu nicht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 1831/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichtes Leipzig vom 02.12.2022 - 8 O 1831/20 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der am 16.02.2017 geborene Kläger begehrt Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung seiner Mutter im Rahmen seiner Geburt.
Am 05.02.2017 stellte sich die Mutter des Klägers bei der Beklagten vor. Es wurde ein Aufklärungsgespräch mit der Zeugin Dr. D... geführt und die Klägerin unterzeichnete einen Aufklärungsbogen. Darin wird bei der Zangen-/Saugglockenentbindung auf Risiken für das Kind durch Druckstellen, Abschürfungen, Blutergüsse oder Schwellungen am Kopf und erhöhte Blutungsneigung im Gehirn hingewiesen. Handschriftlich ist u.a. eingetragen: "Kaiserschnitt, Glockenentbindung + Risiken bespr.". Am 16.02.2017 wurde die Mutter des Klägers wegen Terminüberschreitung aufgenommen. Es wurde ein CTG aufgezeichnet. Um 14.05 Uhr war der Muttermund vollständig geöffnet. Es wurde um ca. 14:30 Uhr festgestellt, dass sich der Kopf des Klägers auf der Beckenmitte bis Beckenboden befindet. Wegen wiederholten Dezelerationen (Absinken der Herzfrequenz des Fötus) wurde um 14:36 Uhr der Entschluss zur operativen Geburtsbeendigung per Vakuumextraktion gefasst und der Kläger um 14.54 Uhr nach drei Traktionen geboren. Es entwickelte sich ein Hämatom auf dem Kopf des Klägers. Bei der Sonographie des Gehirns am 20.02.2017 im Hause der Beklagten wurde eine Tiefenausdehnung des linksseitigen Kephalhämatoms festgestellt und der Kläger in die Universitätsklinik Leipzig verlegt. Es wurde eine Epiduralblutung ohne Hirndruckzeichen festgestellt und eine operative Entlastung als indiziert angesehen. Intraoperativ wurden multiple Berstungsfrakturen des Schädels und eine Impressionsfraktur festgestellt. Der Eingriff erfolgte ohne Komplikationen und der Kläger konnte am 27.02.2017 entlassen werden. Neurologische Ausfälle sind bislang nicht zu verzeichnen und der Kläger entwickelt sich bisher gut.
Der Kläger hat behauptet, seine Mutter hätte über das Risiko einer Schädelfraktur bei der Vakuumextraktion aufgeklärt werden müssen, weil es sich um ein typisches Risiko handele. Seine Mutter hätte in diesem Fall die Zustimmung nicht erteilt. Auch über Behandlungsalternativen sei nicht aufgeklärt worden. Eine Indikation für die Vakuumextraktion habe nicht vorgelegen. Die Dokumentation sei unzulänglich, insbesondere deshalb, weil zwei widersprüchliche Operationsberichte vorliegen. Der MDK Gutachter Dr. K... habe die Verwendung der Saugglocke für fehlerhaft und nicht indiziert angesehen. Ein grober Behandlungsfehler liege auch darin, dass zwischen dem pathologischen CTG um 14.36 Uhr und der Vakuumextraktion um 14.54 Uhr 20 Minuten vergangen seien. Die Vakuumextraktion habe den Schädelbruch verursacht. Nach der Geburt sei das Hämatom verheimlicht worden. Im Hause der Beklagten sei eine weitere Befunderhebung unterlassen und damit die Schädelfraktur nicht erkannt worden. Der Kläger habe eine Narbe davongetragen, die schlimmstenfalls zu psychischen Problemen und chronischen Schmerzen führen könne.
Die Beklagte hat behauptet, es habe auch kein Entscheidungskonflikt bestanden. Bei Mitteilung des Verdachts einer fetalen Hypoxie hätte sich die Mutter des Klägers in jedem Fall für eine Vakuumextraktion entschieden. Die Großmutter des Klägers, die bei der Beklagten beschäftigt sei, habe sich in unzulässiger Weise Zugang zur Patientenakte verschafft und habe den Entwurf eines Operationsberichtes, der zunächst diktiert und anschließend korrigiert werde, der Patientenakte entnommen. Eine frühzeitigere schädelsonographische Abklärung sei nicht geboten gewesen und hätte auch nicht zu einem anderen therapeutischen Regime geführt.
Das Landgericht hat die Zeugin Dr. D... vernommen, die Klägerin angehört, ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D... (Facharzt für Frauenheilkunde) eingeholt und die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung vertritt der Kläger die Auffassung, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von der Indikation zum Saugglockeneinsatz ausgegangen und habe die Ausführungen des MDK-Gutachters K... ignoriert, der die die Anwendung der Saugglocke als ...