Leitsatz (amtlich)

1. Die Zustimmung zu einer Erhöhung des Entgelts aus einem Wohn- und Betreuungsvertrag wird mit Rechtskraft eines zusprechenden Urteils mit Rückwirkung auf den Erhöhungszeitpunkt fingiert.

2. Die Teilzustimmung zu einer Entgelterhöhung steht regelmäßig ebenso wenig eine Annahme des auf Entgelterhöhung gerichteten Vertragsänderungsangebotes dar wie das Verstreichenlassen der Kündigungsfrist.

3. Den formellen Anforderungen an ein Erhöhungsverlangen ist bereits dann genügt, wenn bezogen auf den Änderungszeitpunkt eine vergleichende Gegenüberstellung der bisherigen und der erhöhten Kosten und des Umlegungsmaßstabes erfolgt; dass der Verbraucher aufgrund dieser Angaben eine Plausibilitätskontrolle oder eine inhaltliche Überprüfung der materiellen Berechtigung des Erhöhungsverlangens vornehmen kann, ist nicht erforderlich.

4. Dies gilt auch dann, wen in das Erhöhungsverlangen für die Zukunft Beiträge miteinbezogen werden sollen, denen für den vorausgegangenen Zeitraum kein formell wirksames Erhöhungsverlangen zugrunde lag.

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 120/21LS)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 21.12.2022, Az. 1 O 120/21, unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. Der Erhöhung des monatlichen Entgelts für die Unterkunft von 14,89 EUR um 0,57 EUR auf 15,46 EUR pro Tag, für die Verpflegung von 4,84 EUR um 0,17 EUR auf 5,01 EUR und für den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil in Höhe von 4,76 EUR auf 18,97 EUR ab dem 01.01.2020 zuzustimmen.

2. Der Erhöhung des monatlichen Entgelts für die Umlage für die Ausbildung der Pflegeberufe um 25,25 EUR ab dem 01.04. bis zum 31.8.2020 zuzustimmen.

3. Der Erhöhung des monatlichen Entgelts für die Ausbildungsplatzabgabe von 1.823,08 EUR um 3,67 EUR auf 1.826,73 EUR ab dem 01.09.2020 zuzustimmen.

4. An die Klägerin einen Betrag in Höhe von insgesamt 5.241,58 EUR zu zahlen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 20 % und die Beklagte 80 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 6.500,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO)

I. Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zustimmung zum Erhöhungsverlangen, durch das mit Wirkung zum 01.01.2020 das monatliche Entgelt für die Unterkunft von 14,89 EUR um 0,57 EUR auf 15,46 EUR pro Tag, für die Verpflegung von 4,84 EUR um 0,17 EUR auf 5,01 EUR und für den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil in Höhe von 4,76 EUR auf 18,97 EUR angehoben wurde gem. § 12 des zwischen den Parteien bestehenden Wohn- und Betreuungsvertrages vom 15.04.2015.

Die Wirksamkeit von Erhöhungen des vertraglich vereinbarten Entgelts für die Unterbringungsleistungen der Klägerin richtet sich nach § 12 des Wohn- und Betreuungsvertrages (im folgenden WBV). Die Vertragsbestimmung wiederholt im wesentlichen den Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 9 WBVG. Danach bedarf eine Entgelterhöhung des Unternehmers (Heimträger) bei Änderung der Berechnungsgrundlage nach § 9 WBVG zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Verbrauchers (Heimbewohner) (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - III ZR 279/15 -, BGHZ 210, 233-249), LS 1 und Rn. 18, 21; OLG Hamm, Urt. v. 22.8.2014 - 12 U 127/13, juris Rn. 123 ff., Grüneberg/Weidenkaff BGB, 81.Aufll. § 9 WBVG Rn. 3). Erforderlich ist damit eine Änderungsvereinbarung im Sinne von § 311 Abs. 1 BGB (BGH, a.a.O, Rn. 24). Stimmt der Heimbewohner dem Erhöhungsverlangen zu, kommt eine vertragliche Vereinbarung über die Erhöhung zustande (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2019 - VIII ZR 234/18 -, Rn. 15, juris). Wird die Zustimmung nicht erklärt, muss der Heimträger auf Zustimmung klagen. Erst mit rechtskräftigem Urteil wird die fehlende Zustimmungserklärung fingiert gem. § 894 S. 1 ZPO (vgl. Grüneberg/Weidenkaff, aaO., § 9 WBVG, Rn. 3 aE). Die somit zwingend erforderliche Zustimmung kann auch konkludent zum Beispiel durch Zahlung des erhöhten Entgelts oder Verstreichenlassen der Kündigungsfrist nach § 11 Abs. 1 Satz 2 WBVG erteilt werden (BGH, a.a.O. m.w.N., Rn. 31; hierzu ausführlich Düncher/Schweigler: Entgelterhöhung im Wohn- und Betreuungsvertrag, GuP 2017, 5ff, 7 m.w.N.).

a) Nach den vorstehenden Grundsätzen stellt das mit Schreiben vom 27.11.2019 übersandte Erhöhungsbegehren ein Angebot der Klägerin auf eine auf das Gesamtentgelt bezogene Vertragsänderung iSd § 311 Abs. 1 BGB dar, das die Beklagte nicht - auch nicht konkludent - angenommen hat.

aa) Das Schreiben der Beklagten vom 07.04.2020 enthält nur die Zustimmung zu Mehrkosten, die sich aus der Erhöhung des einrichtungsrelevanten Eigenanteils um 4,76 EUR ergeben. Die Klägerin hat dieses Schreiben auch nicht als Zustimmung zu ihrem Erhöhu...

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