Leitsatz (amtlich)
1. In Arzthaftungssachen sind Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch sowohl auf innere Widersprüche als auch auf Widersprüche zu anderen Gutachtern, auch wenn es sich dabei um Privatgutachter handelt, zu überprüfen.
2. Lassen sich derartige Widersprüche auch durch eine ergänzende Anhörung nicht ausräumen, ist ein weiteres Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen.
3. In den Jahren 2012/2013 entsprach de dem kieferchirurgischen Facharztstandard, vor dem Einsatz eines Zahnimplantates eine Modellanalyse und eine Röntgenanalyse mit Messreferenz vorzunehmen und deren Ergebnisse in den Behandlungsunterlagen zu dokumentieren.
4. Nutzt der Patient ein objektiv unbrauchbares Implantat gleichwohl über einen längeren Zeitraum, kann es sich nicht auf den Ausschluss des Vergütungsanspruches des Zahnarztes berufen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 3563/13) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin - unter ihrer Zurückweisung im Übrigen - wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 10.03.2017 zum Teil abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Leipzig vom 28.01.2014 wird aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 5.000,00 EUR (Schmerzensgeld) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.01.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen - mit Ausnahme der durch die Säumnis der Beklagten verursachten Kosten, die die diese allein zu tragen hat - trägt die Klägerin 45 % und die Beklagte 55 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 0,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Der Klägerin steht entgegen der Auffassung des Landgerichts ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 EUR nebst Zinsen zu. Dagegen hat das Landgericht die Klage bezogen auf den geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Honorars in Höhe von 3.931,55 EUR im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 5.000,00 EUR nebst geltend gemachter Prozesszinsen (§§ 280, 823 Abs. 1, 253, 291 BGB), da ein grober Behandlungsfehler seitens der Beklagten im Zusammenhang mit dem Einbringen von drei Implantaten bei der Klägerin vorliegt, der kausal für die bakterielle Infektion des Kieferknochens, den Kieferknochenschwund und letztlich die Unbrauchbarkeit aller drei Implantate ist.
1. Die Beweisaufnahme des Landgerichts trägt die Annahme, der Beklagten sei bei der Implantatversorgung der Klägerin kein Behandlungsfehler unterlaufen, nicht. Es liegen vielmehr konkrete Anhaltspunkte im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Begutachtung des Sachverständigen Prof. N. begründen, auf die das Landgericht die Abweisung der Klage gestützt hat.
In Arzthaftungssachen sind Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen. Das gilt sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger, selbst wenn es sich dabei um Privatgutachten handelt (vgl. nur BGH, VersR 2009, 499; BGH, VersR 1989, 1296; OLG Brandenburg, Urteil vom 15.05.2014, Az. 12 U 56/13, zitiert nach juris; Senat, Urteil vom 31.03.2010 - 4 U 1410/09 - juris). Ausreichend ist es, wenn ernstzunehmende Bedenken gegen Teile des Gutachtens erhoben werden. Dabei obliegt es dem Gericht, von sich aus verbleibende Zweifel zu klären. Das Gericht hat zudem entsprechendem Vortrag der Parteien nachzugehen und Widersprüche bzw. Unklarheiten in den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen (zumindest) durch dessen nochmalige Anhörung oder auch durch Beauftragung eines weiteren Gutachters gemäß § 412 ZPO aufzuklären (vgl. BGH, aaO.; OLG Brandenburg, aaO.).
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht daher dem Sachverständigen Prof. N. aufgegeben, sich in zwei Ergänzungsgutachten mit den Einwänden der Klägerin und den Stellungnahmen ihres Privatgutachters zu befassen. Dieser Aufforderung ist der Sachverständige indes nur teilweise nachgekommen. Insbesondere mit den Einwänden der Klägerin und ihres Privatgutachters aus dem Schriftsatz vom 03.08.2015 bzw. der Stellungnahme vom 09.07.2015 hat er sich nur teilweise auseinandergesetzt. Nachdem die verbleibenden Widersprüche auch in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht nicht geklärt werden konnten, war für das Berufungsverfahren nicht mehr davon auszugehen, dass diese Mängel durch eine weitere Anhörung des Sachverständigen zufriedenstel...