Leitsatz (amtlich)
1. Kann der Versicherungsnehmer weder dem Beitragserhöhungsschreiben eines Krankenversicherers noch den beigefügten Informationsmaterialien entnehmen, dass nur eine deutliche Abweisung von einem bestimmten, vorher festgelegten Wert die Erhöhung rechtsfertigte, ist dieses aus formellen Gründen unwirksam. Der bloße Hinweis auf die Erhöhung von Leistungsausgaben genügt insofern nicht.
2. Die Unwirksamkeit einer Prämienanpassung folgt weder aus einem vertraglichen Anpassungsrecht unterhalb der Schwelle von 10 % nach daraus, dass Auslöser für die Anpassung verringerte Leistungsausgaben sind.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2814/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 02.11.2021 - 3 O 2814/20 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzung der Prämien in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Kranken- und Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer 00/00/0.000000.0 unwirksam sind:
im Tarif MAS 3 die Erhöhungen
zum 01.01.2015 um 20,00 EUR,
zum 01.01.2016 um 18,43 EUR,
zum 01.01.2017 um 30,82 EUR
und der Kläger zur Zahlung der Erhöhungen im Tarif MAS 3 in der Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2017 nicht verpflichtet war.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 831,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.01.2021 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vom 01.01.2017 bis 31.12.2017 aus den unter Ziffer 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezogen hat.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreites in erster Instanz tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 6/7 und die Beklagte zu 1/7.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 6.561,38 EUR und der des erstinstanzlichen Verfahrens auf 8.130,51 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit von Beitragserhöhungen im Rahmen der vom Kläger bei der Beklagten gehaltenen Krankenversicherung im Tarif MAS 2 zum 01.01.2014, im Tarif MAS 3 zum 01.01.2015, 01.01.2016, 01.01.2017, 01.01.2018 und 01.01.2019 sowie im Tarif MKT 29 zum 01.01.2018 und CRHD zum 01.01.2019. Der Beitragserhöhung im Tarif MAS 3 zum 01.01.2018 lagen gesunkene Leistungsausgaben zu Grunde. Bei den Erhöhungen zum 01.01.2017 und 01.01.2018 wurde der gesetzlich festgelegte Schwellenwert von 10 % nicht erreicht.
Die Beklagte hat die Prämien mit Beitragserhöhungsschreiben jeweils aus November des Vorjahres zum jeweils 01.01. des Folgejahres erhöht. Mit Klageerwiderung vom 31.03.2021 hat sie mitgeteilt, dass die Erhöhungen jeweils durch Veränderung der Leistungsausgaben von über 5 % bzw. 10 % ausgelöst worden sind.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beitragserhöhungen seien formell unwirksam und entsprächen nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen. Die Erläuterungen seien zu allgemein gehalten. § 8b MB/KK sei unwirksam. Die Erhöhungen seien aber auch deshalb materiell-rechtlich unwirksam, weil in einzelnen Jahren trotz der Verringerung der Leistungsausgaben der Beitrag erhöht worden sei.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und meint, dass die Mitteilungsschreiben ausreichend begründet seien. § 8b MB/KK sei im Übrigen wirksam. Es komme auch nicht darauf an, ob bei dem auslösenden Faktor die Leistungsausgaben gesunken seien. Wenn die anderen zu berücksichtigenden Rechnungsgrundlagen gestiegen seien, so sei eine Erhöhung gleichwohl möglich. Beim Anspringen des auslösenden Faktors komme es zu einer vollständigen Neuberechnung der Prämie.
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 02.11.2021 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 5.334,00 EUR verurteilt. Es hat die Beitragsanpassungen für unwirksam gehalten.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, das Landgericht sei zu Unrecht von der formellen Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen ausgegangen. Eines Hinweises auf die Überschreitung des Schwellenwertes bedürfe es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Leipzig vom 02.11.2021 zum Geschäftszeichen 03 O 2814/20 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist zum überwiegenden Teil begründet.
A. Die Feststellungsklage ist nur hinsichtlich der Tariferhöhungen zum 01.01.2015, 01.01.2016, 01.01.2017, 0...