Leitsatz (amtlich)
1. Die zum "Schockschaden" entwickelten Grundsätze sind auch bei der Behandlung einschlägig, durch die behandlungsfehlerhafte Pflege eines nahen Angehörigen sei bei dem Anspruchsteller eine psychische Gesundheitsverletzung eingetreten.
2. Hierfür gilt das Beweismaß des § 286 ZPO; die Beweiserleichterungen des Arzthaftungsrechts finden keine Anwendung.
Verfahrensgang
LG Zwickau (Aktenzeichen 1 O 172/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 17.05.2023 - Az. 1 O 172/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 43.657,11 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin ist Tochter der verstorbenen G... M... (im Folgenden: Patientin). Die Patientin befand sich im Zeitraum vom 31.08.2016 bis zu ihrem Tod am 07.01.2017 in vollstationärer Pflege des Pflegeheims K... Domizil. Die Beklagte zu 1) ist Trägerin des von der Beklagten zu 2) geleiteten Heims. Mit der Behauptung, sie habe ab September 2016 eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine depressive Störung erlitten infolge einer den Beklagten anzulastenden grob fehlerhaften Pflege der Patientin, begehrt die Klägerin Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz in Form von Verdienstausfall, Rentenkürzungsschaden, Reisekosten, Kosten für Zuzahlungen zur Heilbehandlung und weiterer Kosten für Porto und Telefon sowie Kosten zur Ermittlung ihres Verdienstausfallschadens.
Die Patientin erlitt am 06.05.2016 einen Hirninfarkt und wurde bis zu ihrer Aufnahme im Pflegeheim der Beklagten zu 1) in verschiedenen Kliniken behandelt. In Folge des Infarktgeschehens litt die Patientin an einem sog. Locked-in-Syndrom, u. a. mit Tetraparese, faszialer Parese rechts, Dysphagie mit Zustand nach PEG Anlage (Magensonde) bei Schluckstörung, Harn- und Stuhlinkontinenz, intermittierendem Vorhofflimmern, arterieller Hypertonie, chronischer Hepatitis B sowie an präpylorischer Antrumgastritis mit Zustand nach frischer Ulcusnarbe.
Nach Aufnahme im Pflegeheim der Beklagten zu 1) wurde die Patientin am 02.09.2016 mit dem Verdacht auf Aspiration verlegt und stationär vom 02. bis 12.09.2016 im Krankenhaus behandelt. Zudem wurden dort Dekubitalulcera am Gesäß und dem rechten Unterschenkel dokumentiert. Ein erneuter Krankenhausaufenthalt wegen einer Darmentzündung erfolgte vom 16. bis 20.09.2016.
Die Patientin verstarb am 07.01.2027. Eine am 11.01.2017 durchgeführte Obduktion ergab beginnende Dekubitalulcera 1. - 2. Grades im Bereich beider Fersen und der Oberschenkelrückseite. Als Todesursache wurde eine schwere Lungenentzündung festgestellt.
Die Klägerin erstattete am 10.08.2017 Strafanzeige wegen unzureichender Pflege der Patientin. Im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wurden zumindest Teile der Pflegedokumentation beschlagnahmt und nach Abschluss des Verfahrens, das gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, an das Pflegeheim zurückgesandt.
Die Klägerin hat in einem weiteren Prozess u. a. die Klinik, in der die Patientin vom 06. bis 07.05.2016 stationär behandelt wurde, wegen behaupteter Behandlungsfehler aus originär eigenem Recht auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch genommen. Diese sei für den schwerst pflegebedürftigen Zustand der Patientin verantwortlich und hätte damit eine Erkrankung der Klägerin in Form von wiederkehrenden depressiven Störungen ausgelöst. Die Berufung gegen die vom Landgericht Zwickau abgewiesenen Klage hat der Senat mit Beschluss vom 12.10.2023 nach § 522 ZPO zurückgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.
Nach Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Gericht hat das Landgericht im vorliegenden Verfahren ein schriftliches psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Die Beiziehung der Pflegedokumentation blieb erfolglos, da diese unauffindbar war. Nach mündlicher Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen im Verhandlungstermin am 17.05.2023 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Ergebnis der sachverständigen Begutachtung habe die Klägerin eine im Zusammenhang mit einer - zu ihren Gunsten unterstellten - mangelhaften Pflege der Patientin stehende psychische Erkrankung in Form einer PTBS oder einer Anpassungsstörung mit anschließender mittelgradiger depressiver Episode nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, zu deren Begründung sie unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Auffassung vertritt, das Landgericht sei aufgrund unzureichender Beweiserhebung und falscher Beweiswürdigung...