Leitsatz (amtlich)
1. Die dauerhafte Deaktivierung des Nutzerkontos bei einem sozialen Netzwerk ist auch dann nur nach vorheriger Abmahnung zulässig, wenn zuvor bereits mehrere Beiträge des Nutzers gelöscht worden waren.
2. Ein Anspruch auf Unterlassung einer künftigen Deaktivierung ohne Einräumung einer Gelegenheit zur Stellungnahme kommt auch nach einer unberechtigten Kündigung nicht in Betracht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 857/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 07.05.2021 abgeändert und die Beklagte über Ziff. 1 und 2 hinaus verurteilt,
das am 28.02.2020 deaktivierte Profil des Klägers (Anmelde-Email: i...@yyy.de) auf www.xxx.com vollständig wiederherzustellen und insbesondere alle Verknüpfungen dieses Profils mit den Profilen anderer Nutzer, wie dies zum Löschungszeitpunkt bestand, wiederherzustellen; sowie dem Kläger Zugriff auf dieses Konto zu gewähren.
die bei ihr gespeicherten Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen von Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen, die der Kontodeaktivierung i.S.d. Ziff. 2 zugrunde liegen, aus dem Datensatz gelöscht und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, entsprechend zurückgesetzt wird.
den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von weiteren 403,90 EUR durch Zahlung an die Kanzlei R... freizustellen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 4/5, der Kläger zu 1/5.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 27.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Löschung von Beiträgen des Klägers und die darauf folgende vollständige Sperrung und Deaktivierung seines Nutzerkontos bei dem von der Beklagten bereitgestellten sozialen Netzwerk. Der Kläger unterhielt ein Konto bei dem sozialen Netzwerk www.xxx.com der Beklagten, mit dem er unter seinem persönlichen Profil (Anmelde-Email: i...*yyy.de) Beiträge auf seiner eigenen Profilseite einstellen oder auf denen anderer kommentieren kann. Bei der Anmeldung hat der Kläger u. a. den Nutzungsbedingungen (Anlage K 1 und B 1 d.A.), den Gemeinschaftsstandards der Beklagten (Anlage K 3 und B 2 d.A.) und den Sonderbedingungen für Deutschland (Anlage K 23 und B 7 d. A.) zugestimmt. Im Frühjahr 2018 wies die Beklagte ihre Nutzer darauf hin, dass sie ihre Geschäftsbedingungen ändern würde. Den geänderten Nutzungsbedingungen vom 19.4.2018 einschließlich der Gemeinschaftsstandards stimmte der Kläger zu.
Im Zeitraum vom 31.1.2019 bis 11.1.2020 verlinkte der Kläger auf seiner Profilseite auf insgesamt fünf Videobeiträge (BI. 132-133 d.A.), davon drei Youtube-Videos des Aktivisten der Identitären Bewegung M... S... (Post 1-3), einen auf der Website "zzzzzz.net." und einen weiteren auf der Website "...-online.de" veröffentlichten Beitrag. Alle Beiträge befassen sich in unterstützender Weise mit Aktivitäten der Identitären Bewegung. Für den Inhalt der verlinkten Beiträge wird im Einzelnen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Die Beklagte löschte alle die Verlinkungen enthaltenden Posts unmittelbar nach deren Einstellung. Am 26.2.2020 deaktivierte sie zudem dauerhaft den xxx-Account des Klägers. Dieser kann seitdem keine eigenen Beiträge mehr einstellen, fremde Beiträge nicht mehr kommentieren, den Messenger-Dienst der Beklagten nicht nutzen und sich nicht mehr über sein xxx-Konto auf anderen Internetseiten einloggen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Email vom 28.02.2020 (BI.191 d.A., BI. 2 des Anlagenheftes) mit, dass sein Konto dauerhaft gesperrt wurde, weil die Standards der xxx-Gemeinschaft nicht eingehalten wurden. Auf ein außergerichtliches Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.03.2020 (BI. 1-6 des Anlagenheftes) reagierte die Beklagte nicht.
Einen zunächst gestellten Auskunftsantrag hat der Kläger nach Auskunftserteilung im erstinstanzlichen Verfahren für erledigt erklärt. Seine auf Wiederherstellung seines Kontos, Unterlassung künftiger Sperren, Datenberichtigung, Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung, weitere Auskunft, Schadensersatz und Freistellung von Rechtsanwaltsgebühren gerichtete Klage hat das Landgericht mit Ausnahme eines geringfügigen Anteils an den geltend gemachten Anwaltskosten abgewiesen. Der Kläger habe durch die wiederholte Verlinkung auf Videos, die den Gemeinschaftsstandards der Beklagten zuwiderliefen, gegen seine Pflichten aus dem Nutzungsvertrag verstoßen. Die Gemeinschaftsstandards d...