Leitsatz (amtlich)
1 Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Kündigung eines Vertrages über die Nutzung eines sozialen Netzwerkes vorliegen, trägt der Betreiber.
2. Kündigung und dauerhafte Deaktivierung des Nutzerkontos erfordern eine Abwägung der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen im Wege der Praktischen Konkordanz; wird lediglich pauschal ein Verstoß gegen die Nutzungsbestimmungen behauptet, ohne dass dieser ggf. unter Vorlage eines Screenshots belegt werden könnte, reicht dies für eine Überprüfung durch das Gericht nicht aus.
3. Der bloße Verlust von Daten infolge der Deaktivierung des Nutzerkontos stellt keinen immateriellen Schaden dar.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 463/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichtes Dresden vom 19.05.2023 - 3 O 463/20 - im Kostenpunkt aufgehoben und - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, das am 15.12.2019 gelöschte Profil des Klägers Anmelde-E-Mail f...@web.de auf www.facebook.com vollständig wiederherzustellen und insbesondere alle Verknüpfungen dieses Profils mit den Profilen anderer Nutzer, wie dies zum heutigen Zeitpunkt besteht, wiederherzustellen sowie dem Kläger Zugriff auf dieses Konto zu gewähren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die bei ihr gespeicherten Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen, der der Deaktivierung i.S.d. Ziffer 1 des Tenors zugrunde liegt, aus dem Datensatz gelöscht und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 691,33 EUR durch Zahlung an die Kanzlei R... freizustellen.
III. Die Kosten des Rechtsstreites beider Instanzen tragen der Kläger zu 48 % und die Beklagte zu 52 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 12.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Betreiberin des sozialen Netzwerkes Facebook in Anspruch.
Er war Nutzer des sozialen Netzwerkes der Beklagten. Im April 2018 änderte die Beklagte ihre Geschäftsbedingungen, die in Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards untergliedert sind. Die weitere Nutzung der Plattform war nur möglich, wenn der Nutzer den geänderten Bedingungen zustimmte. Am 15.12.2019 wurde der Kläger von der Beklagten gesperrt und erhielt die Meldung: "Dein Konto wurde gesperrt". Ob ihm ein Grund für die Sperrung mitgeteilt wurde ist streitig. Mit Anwaltsschreiben vom 15.01.2020 wurde die Beklagte zur Aufhebung der Nutzungssperre aufgefordert.
Der Kläger hält die erzwungene Änderung der Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen im Frühjahr für unwirksam. Ziffer 13. der Nutzungsbedingungen und Ziffer 3. der Sonderbedingungen benachteiligen den Nutzer unangemessen und seien unwirksam. Die erzwungene Zustimmung sei sittenwidrig. Die Beklagte missbrauche ihre marktbeherrschende Stellung. Sie sei zudem verpflichtet, mit der Sperrung des Kontos mitzuteilen, welcher Beitrag für anstößig erachtet werde und aus welchem Grund die Löschung erfolgt sei. Der Kläger habe einen Anspruch auf vollständige Wiederherstellung mit allen Verknüpfungen seines Nutzerkontos und Zurücksetzung des Zählers, der die Zahl der Verstöße erfasse. Er habe nicht gegen Gemeinschaftsstandards verstoßen. Die Sperrung sei auch deshalb rechtswidrig, weil dem Kläger keine Gelegenheit gegeben worden sei, zu dem behaupteten Verstoß Stellung zu nehmen. Es bestehe zudem ein Feststellungsinteresse, dem Kläger gehe es um die Beseitigung möglicher Einschränkungen seiner zukünftigen Facebook-Teilnahme. Die Beklagte sei verpflichtet, Auskunft über die Beiträge zu erteilen, die Anlass der Sperre gewesen seien. Es sei zu bestreiten, dass der Beitrag endgültig gelöscht worden sei. Er habe darüber hinaus Anspruch auf Auskunft darüber, ob Dritte oder die Bundesregierung an der Sperrung mitgewirkt hätten. Er habe ein berechtigtes Interesse an der Erlangung entsprechender Informationen, da er deliktische Ansprüche gegen Dritte geltend machen könne. Des Weiteren habe er aus dem Nutzungsvertrag einen Anspruch darauf, dass es die Beklagte unterlasse, sein Konto zu sperren oder zu deaktivieren ohne ihn vorab über die beabsichtigte Kontodeaktivierung oder Sperrung zu informieren und die Möglichkeit zur Gegenäußerung, um Neubescheidung einzuräumen. Die Sperrung des Nutzerkontos stelle eine Vertragsverletzung der Beklagten dar und verletze sein Persönlichkeitsrecht. Da die Beklagte sein Profil kommerziell nutze, sei der Schadensersatz als fiktive Lizenzgebühr zu zahlen. Darüber hinaus bestehe auch ein datenschutzrechtlicher Anspruch. Mit der Sperrung seien dem Kläger ein materieller sowie immaterieller Schaden entstanden. Er sei gehindert gewesen, seine Meinung weiter zu v...