Leitsatz (amtlich)
1. Werden Schadensersatzansprüche sowohl mit einer Leistungs- als auch mit einer Feststellungsklage auf Ersatz von Zukunftsschäden geltend gemacht, darf bezüglich der Leistungsansprüche kein Grundurteil ergehen.
2. Ein Sachverständigengutachten, das neun Jahre nach einem Verkehrsunfall eine somatoforme Schmerzstörung auf diesen Unfall zurückführt, ohne hierfür nachvollziehbare Anknüpfungstatsachen zu benennen und den behaupteten Ursachenzusammenhang anhand der nach dem Unfall erstatteten ärztlichen Befundberichte herauszuarbeiten, begründet keine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 287 ZPO.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Urteil vom 20.04.2016; Aktenzeichen 4 O 1552/09) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des LG Chemnitz vom 20.04.2016 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG Chemnitz zurückverwiesen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 48.422,48 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz sowie Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für bereits entstandenen sowie zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden aus einem Verkehrsunfall, der sich am 10.11.2006 gegen 18.40 Uhr in C. ereignet hat.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird auf den Tatbestand des Urteils des LG Chemnitz vom 20.04.2016 Bezug genommen.
Das LG hat durch "Grundurteil" vom 20.04.2016 "die Beklagten ... dem Grunde nach ... verurteilt, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aufgrund des Verkehrsunfalles vom 10.11.2006 entstanden ist". Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Die Beklagten begehren mit der von ihnen form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung die Aufhebung des Grundurteils des LG Chemnitz vom 20.04.2016 und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG sowie hilfsweise die vollständige Abweisung der Klage. Sie sind der Ansicht, ein Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO liege darin, dass das LG mit dem Grundurteil über sämtliche Anträge, d.h. die Leistungsanträge sowie den Feststellungsantrag, entschieden und damit ein unzulässiges Grundurteil erlassen habe. Zudem lasse sich den Ausführungen des LG entnehmen, dass es noch völlig offen sei, ob und ggf. in welcher Höhe überhaupt materielle Schadensersatzansprüche bestünden. Damit bestehe aber die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen, so dass das Grundurteil auch unter diesem Gesichtspunkt unzulässig sei. Im Übrigen wäre mangels Schlüssigkeit der Klage der Antrag zu Ziffer 2 in jedem Fall abweisungsreif gewesen. Schließlich habe sich das Gericht aber auch nicht mit den Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. F. auseinandergesetzt. Das Gutachten des Sachverständigen sei in wesentlichen Teilen nicht nachvollziehbar, was auch durch die beratungsärztliche Stellungnahme des Privatgutachters Dr. med. H. vom 18.06.2016 bestätigt werde. Insbesondere habe der gerichtlich bestellte Sachverständige eine exakte medizinische Erfassung eines Symptomzeitschemas oder einer spezifischen Schmerzdynamik im Zusammenhang mit äußeren Faktoren nicht vorgenommen. Dies wäre jedoch für die Zurechnung der Beschwerden zu dem Unfallereignis erforderlich. Zudem halte sich das Gutachten nicht an die Leitlinien für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen AWTM-Register 030/102. Das Gutachten verbleibe durchgehend auf der Beschwerdeebene des Begutachteten und schließe somit lediglich die subjektive Eigenanamnese des Klägers in die Begutachtung ein, während eine notwendige objektive Befundebene nicht erreicht werde. Ferner lasse sich dem Gutachten nicht entnehmen, wie die angegebenen Befindlichkeitsstörungen mit den Anforderungen der vom Kläger ausgeübten Gelegenheitsjobs bzw. seiner Tätigkeit als Taxifahrer zu vereinbaren seien. Objektive Kriterien oder objektiv zu bewertende Fremdanamnesen fehlten im Gerichtsgutachten gänzlich. Darüber hinaus seien auch die Diagnosekriterien für eine psychische Erkrankung F 45.51 sowie F 45.8 nicht beschrieben. Zudem habe der Privatsachverständige Dr. H. darauf hingewiesen, dass nicht "einfach aus dem Nichts" eine Diagnose in eine andere übergehe (in diesem Fall HWS-Distorsion in somatoforme Schmerzstörung), sondern dass diesem Vorgang ursächlich (unfallunabhängige) biologische, soziale und lebensgeschichtliche Einflüsse zugrunde lägen. Schließlich sei aber auch fraglich, ob eine Zurechnung selbst bei entsprechender Diagnose einer F 45.41 bzw. F 45.8 Erkrankung angesichts der tatsächlich nur leichten Unfallverletzungen, wie einer HWS-Distorsion und damit eines geringfügigen Schadensereignisses, überhaupt...