Leitsatz (amtlich)
1. Abwehransprüche gegen unwahre Tatsachenbehauptungen kommen dann nicht in Betracht, wenn sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild auswirken und damit "wertneutral" sind. Die Äußerung, die Anspruchstellerin habe Sportlerinnen "unter Opiaten" zum Training gezwungen, stellt indes keine wertneutrale Behauptung dar.
2. Der Umstand, dass ein Medium eine beanstandete Äußerung auf Aufforderung löscht, steht einem Unterlassungsanspruch nicht entgegen, wenn zugleich die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert und die Äußerung im nachfolgenden Prozess verteidigt wird.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 2 O 484/21 EV) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 4.6.2021 abgeändert. Der Verfügungsbeklagten wird bei Vermeidung eines vom zuständigen Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, in Bezug auf die Antragstellerin wörtlich und/oder sinngemäß folgende Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen: wird zu verurteilen, bei Zurückweisung der Berufung und des Verfügungsantrags im Übrigen und Kostenteilung folgende Äußerung zu unterlassen,
"Trotz Schmerzen seien sie sogar unter Opiaten zum Training gezwungen worden."
wenn dies geschieht, wie in dem am 28.3.2021 um 12:26 Uhr veröffentlichten Artikel "F... ist: Leistungssport hat körperliche und seelische Folgen" unter der URL https://www....
II. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt, die weitergehende Berufung der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Aufnahme des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313a, 525, 542 Abs. 2 ZPO).
II. Die zulässige Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie ist unbegründet, soweit sich die Verfügungsklägerin (Klägerin) gegen die Aussage wehrt, sie habe Sportlerinnen "zum Training gezwungen". Bei dem selbständigen Aussageteil, dies sei "sogar unter Opiaten" geschehen, handelt es sich hingegen um eine unwahre Tatsachenbehauptung, die die Klägerin nicht hinzunehmen hat. Insofern steht ihr ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG zu.
1. Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut - der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann - und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen (BGH, Urteil vom 26.01.2021 - VI ZR 437/19 -, Rn. 11, juris; Urteil vom 14.01.2020 - VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587 Rn. 28 mwN). Hiernach ist davon auszugehen, dass es sich bei der Äußerung um die Tatsachenbehauptung handelt, wonach sich Dritte, nämlich verschiedene von der Klägerin trainierte Turnerinnen in dem wiedergegebenen Sinn geäußert haben.
i. Im vorliegenden Kontext ist zu berücksichtigen, dass der Gesamtartikel eine Reportage im ...-Fernsehen bewirbt, die die "körperlichen und seelischen Folgen" des Leistungssports thematisiert und die Frage aufwirft, was "das richtige Maß für den Erfolg" ist. Auch die streitgegenständliche Äußerung wird durch einen Halbsatz eingeleitet, der den Schwerpunkt der von den Sportlern erhobenen Vorwürfe auf die durch die Klägerin erlittenen "Demütigungen" legt. Diese Demütigungen liegen im Gesamtkontext nicht darin, dass den Turnerinnen "Opiate" verabreicht, sondern dass sie "trotz Schmerzen zum Training gezwungen" worden sein sollen. Dem in der Ursprungsfassung des Artikels enthaltenen Zusatz "sogar unter Opiaten" wird der Durchschnittsleser allerdings entnehmen, dass sich (mehrere) "Athletinnen" dahingehend geäußert haben sollen, dass die Klägerin bei Schmerzäußerungen ihr Training auch durch die Verabreichung von "Opiaten" ermöglicht und dabei auch Zwang zur Einnahme dieser Mittel ausgeübt haben soll. Die Äußerung enthält damit die selbständigen Teilbehauptungen, die Klägerin habe Spo...