Leitsatz (amtlich)
1. Sehen die Bedingungen des Versicherers die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vor, kann der Versicherungsnehmer zunächst auf Feststellung der Ersatzpflicht klagen; auf eine Leistungsklage muss er sich dann nicht verweisen lassen (Anschluss an BGH, Urteil vom 13.4.2022 - IV ZR 60/20).
2. Eine Auskunftsobliegenheit in den allgemeinen Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsnehmer verpflichtet, "jede Auskunft, auch in Schriftform zu erteilen", umfasst nicht die Verpflichtung zur Erteilung von Vollmachten zur Akteneinsicht in behördliche Unterlagen.
3. Unzureichende oder ausweichende Antworten auf eine Anfrage des Versicherers, die die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschreiben, können abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine lediglich leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung darstellen, die eine Leistungskürzung nicht rechtfertigt.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 1411/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichtes Dresden vom 24.11.2021 - 8 O 1411/19 - im Kostenpunkt aufgehoben und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den am 30./31.10.2015 am Gebäude B...straße xx in D... entstandenen Brandschaden (Schadens-Nr. 000000000002) unter Abzug eines Selbstbehaltes von 500,00 EUR bedingungsgemäß zum Zeitwert zu regulieren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreites erster und zweiter Instanz tragen die Beklagte 73 % und die Klägerin 27 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte und die Klägerin können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung die jeweils andere Partei Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 1.376.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Brandschaden vom 30. zum 31.10.2015 in der B...straße xx in D... zu regulieren. Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes und schloss mit der Beklagten im Jahr 2012 eine gewerbliche Gebäudeversicherung für die Grundstücke B...straße yy und xx ab. Zum 01.01.2015 kam es zu einer Aufteilung auf die einzelnen Grundstücke.
Im Versicherungsschein wurde die Nutzung u. a. dahingehend definiert, dass das Gebäude 1 als Büro und Lager genutzt wurde und eine festinstallierte Großküche vorhanden ist. In den Versicherungsbedingungen Teil A heißt es u. a. wie folgt:
"§ 10
Versicherungswert von Gebäuden und Grundstücksbestandteilen ist
1.1 der Neuwert ...
1.2 der Zeitwert, falls Versicherung nur zum Zeitwert vereinbart ist oder falls der Zeitwert im Falle der Versicherung zum Neuwert weniger als 40 % des Neuwertes beträgt (Zeitwertvorbehalt).
Der Zeitwert ergibt sich aus dem Neuwert des Gebäudes durch einen Abzug entsprechend seinem insbesondere durch den Abnutzungsgrad bestimmten Zustand;
...
§ 11
1.1 Der Versicherer ersetzt ...
b) bei beschädigten Sachen die notwendigen Reparaturkosten zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles zuzüglich einer durch den Versicherungsfall entstandenen und durch die Reparatur nicht auszugleichenden Wertminderung, höchstens jedoch den Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles. ...
2. Neuwertschaden
2.1 Ist die Entschädigung zum Neuwert vereinbart, erwirbt der Versicherungsnehmer auf den Teil der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil) einen Anspruch nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um
2.1.1 Gebäude in der gleichen Art und Zweckbestimmung an der bisherigen oder anderen Stelle wieder herzustellen. ...
§ 12
1.1 Die Entschädigung ist fällig, wenn die Feststellungen des Versicherers zum Grund und zur Höhe des Anspruches abgeschlossen sind. ...
3.1.1 die Entschädigung - soweit sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach Meldung des Schadens geleistet wird - ab Fälligkeit zu verzinsen;
4. Bei der Berechnung der Fristen gemäß Ziffer 1.1 und 3.1 ist der Zeitraum nicht zu berücksichtigen, in dem infolge Verschuldens des Versicherungsnehmers die Entschädigung nicht ermittelt oder nicht gezahlt werden kann. ...
§14
Der Versicherungsnehmer kann nach Eintritt des Versicherungsfalles verlangen, dass die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festgestellt wird. ..."
§ 15
1. Vor Eintritt des Versicherungsfalles hat der Versicherungsnehmer
1.1 die versicherten Räume regelmäßig zu kontrollieren; die Einhaltung der Obliegenheit gilt als erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer sein Aufsichtspersonal zur laufenden Überprüfung der versicherten Räume verpflichtet hat.
1.2 während einer vorübergehenden Betriebsstilllegung eine genügend häufige Kontrolle des Betriebes sicherzustellen;
In den allgemeinen Bedingungen...