Leitsatz (amtlich)
Versicherte haben keinen regelmäßigen Anspruch gegen ihre private Krankenversicherung auf Auskunft über den für eine Beitragsanpassung auslösenden Faktor.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2892/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 23.08.2022, soweit darin zu Lasten der Beklagten erkannt wird, abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits (beider Instanzen) zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 200 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten im Rahmen eines privaten Krankenversicherungsverhältnisses um eine Auskunft über die Höhe des für mehrere Beitragsanpassungen auslösenden Faktors.
Der Kläger und Berufungsbeklagte ist bei der Beklagten und Berufungsklägerin privat krankenversichert. Im Zeitraum 01.04.2014 bis 01.01.2017 wie auch 2018, 2019, 2020 und 2021 erfolgten diverse Beitragsanpassungen, überwiegend Erhöhungen. Die Informationsschreiben zu den jeweiligen Beitragsanpassungen enthielten keine Angabe über die konkrete Höhe der die Anpassung auslösenden prozentualen Abweichung (§ 155 Abs. 3 VAG).
Der Kläger war der Auffassung, die Anpassungen 2014-2017 seien schon deshalb rechtswidrig gewesen, weil ihnen keine ordnungsgemäße Begründung vorausgegangen sei; darauf beruhende Zahlungen seien ohne Rechtsgrund erfolgt. Seine 2021 rechtshängig gewordene Klage vor dem Landgericht, die gerichtet war auf
- 1) Feststellung der Unwirksamkeit der Anpassungen
- 2) Rückzahlung von 2.728,56 EUR
- 3) Feststellung zur Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe der Nutzungen aus den Überzahlungen
- 4) Auskunft über jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die jeweilige Neukalkulation der Erhöhungen 2017 - 2021 und
- 5) Zahlung vorgerichtlicher Kosten
hat das Landgericht mit Urteil vom 23.08.2022 wegen Verjährung des Zahlungsanspruchs bis auf einen Teil des Antrags zu 4) abgewiesen. Soweit die Klage erfolgreich war, hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger Auskunft über die Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien zum Versicherungsvertrag der Parteien mit der Versicherungsnummer KV 000.000/0 in den folgenden Tarifen und Zeitpunkten der Beitragsanpassungen zu erteilen:
Tarif MA 210 - Beitragsanpassungen zum 01.01.2018, 01.01.2019, 01.01.2020 und 01.01.2021;
Tarif MZ - Beitragsanpassungen zum 01.01.2018, 01.01.2019, 01.01.2020 und 01.01.2021;
Tarif MK1 - Beitragsanpassungen zum 01.01.2018, 01.01.2019, 01.01.2020 und 01.01.2021.
Der Anspruch ergebe sich aus §§ 242, 241 Abs. 2 BGB als nebenvertragliches Recht. Dies gelte unabhängig davon, ob der jeweilige Versicherungsnehmer die Information ohne sachverständige Unterstützung verwerten kann oder nicht. Auf Seiten des Versicherungsnehmers bestehe im Vergleich zum Versicherer ein strukturelles Informationsdefizit, das dessen Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen zu beeinträchtigen vermag und unverschuldet sei. Der Versicherungsgeber könne Informationen über die Gründe der Anpassung hinsichtlich der Höhe auslösender Faktoren unschwer zur Verfügung stellen und es bestehe kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse. In zahlreichen Fällen teile die ganz überwiegende Mehrheit der Krankenversicherer die Höhe der auslösenden Faktoren teilweise schon mit der Anpassung und jedenfalls im Gerichtsverfahren mit.
Gegen diese teilweise Verurteilung mit dem ihr am 02.09.2022 zugestellten Urteil richtet sich die vom Landgericht zugelassene und bei dem Oberlandesgericht am 07.09.2022 eingegangene und innerhalb der verlängerten Frist mit Schriftsatz vom 22.11.2022 mit einer Begründung versehene Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, dass der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnis schon unzulässig und jedenfalls unbegründet sei. Die Höhe des auslösenden Faktors bewirke lediglich die Einleitung des Beitragsanpassungsverfahrens (das "ob"). Ihre Kenntnis reiche selbst mit Hilfe eines Sachverständigen nicht zur Überprüfung der Neukalkulation. Es bestehe kein Auskunftsanspruch, wenn vom Bestehen eines Zahlungsanspruchs, zu dessen Durchsetzung die Auskunft dient, von vornherein nicht ausgegangen werden kann. Auch sei die genaue Höhe der Abweichung irrelevant, wenn es dem Versicherten um die Frage geht, ob diese zwischen 5 % und 10 % oder über 10 % liegt. Es bestünde ferner ein erhebliches Geheimhaltungsinteresse.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Leipzig vom 23.08.2022, Aktenzeichen 03 O 2892/21, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung der Berufungsklägerin und Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Verurteilung. Der Auskunftsantrag sei zulässig und ihm stehe der Auskunftsanspruch zu. Es bestehe ein berechtigtes Interesse zum Zwecke der Überprüfung der vergangenen, gegenwärtigen und z...