Leitsatz (amtlich)
1. Die laparoskopische Appendektomie durch einen Gynäkologen unterfällt dem gynäkologischen Facharztstandard.
2. Für die Zeugenvernehmung einer Arzthelferin, die bei einem ärztlichen Aufklärungsgespräch zugegen war, sind die für Ärzte geltenden Beweiserleichterungen entsprechend heranzuziehen. Der Nachweis eines ordnungsgemäßen Aufklärungsgespräches ist daher bereits dann geführt, wenn die Darstellung der allgemeinen Aufklärungspraxis in sich schlüssig und auf ihrer Grundlage einiger Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist. Indiziell spricht hierfür ein vollständig ausgefüllter Aufklärungsbogen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 3708/15) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 06.08.2021 - 8 O 3708/15 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 69.225,84 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 10.05.1982 geborene Klägerin litt seit 18.11.2012 unter Übelkeit, Unwohlsein und Unterleibsbeschwerden und wurde von ihrem Hausarzt antibiotisch wegen des Verdachtes auf Blinddarmentzündung behandelt. Am 27.11.2012 suchte sie die Notaufnahme bei der Beklagten zu 2) auf und wurde nach unterschiedlichen Untersuchungen nicht stationär aufgenommen. Sie stellte sich am 29.11.2012 wegen anhaltender Beschwerden bei dem Beklagten zu 1) - ihrem Gynäkologen - vor, der ihr eine diagnostisch-therapeutische Laparoskopie empfahl. Die Klägerin unterzeichnete am 03.12.2012 einen Aufklärungsbogen (Anlage B1) und wurde am gleichen Tag stationär im Hause der Beklagten zu 2) aufgenommen, wo der Eingriff durch den Beklagten zu 1) - als Belegarzt - am 04.12.2012 durchgeführt wurde. Der Beklagte zu 1) entfernte Endometrioseherde (Gebärmutterschleimhaut, die sich außerhalb der Gebärmutterhöhle an anderen Organen im Beckenraum befindet) und entfernte den Blinddarm. Die Klägerin wurde am 09.12.2012 aus der stationären Behandlung entlassen. Am 11.12.2012 fand eine ambulante Nachuntersuchung durch den Beklagten zu 1) statt. Am frühen Morgen des 14.12.2012 wurde die Klägerin wegen starker Unterleibsschmerzen durch den Notarzt in die Notaufnahme der Beklagten zu 2) eingeliefert. Sie wurde untersucht und ihr eine Revisionslaparoskopie bei Verdacht einer Peritonitis empfohlen. Sie unterzeichnete einen Aufklärungsbogen und wurde ca. gegen 17:00 Uhr des gleichen Tages durch den Beklagten zu 1) operiert. Intraoperativ zeigte sich eine kotige Peritonitis, weshalb die Klägerin von dem Chirurgen Dr. S... laparotomiert wurde. Es befand sich eine nekrotisch bedingte Stuhlfistel in der Nähe der Appendix Abtragungsstelle. Die Verwachsungen wurden gelöst und die Stuhlfistel übernäht und der Bauchbereich durch Spülung gesäubert. Die Klägerin wurde am 23.12.2012 aus der stationären Behandlung entlassen.
Die Klägerin hat beanstandet, dass sie trotz starker Schmerzen am 27.11.2012 nicht von der Beklagten zu 2) aufgenommen worden sei. Über beide Operationen sei sie nicht aufgeklärt worden. Man habe ihr jeweils am Operationstag das Formular zur Unterschrift vorgelegt. Die Operation 04.12.2012 sei nicht lege artis durchgeführt worden, denn über den vermeintlichen Operationsplan hinaus sei Endometriose und der Blinddarm entfernt worden, wobei die Darmwand perforiert worden sei. Hierdurch sei es zu der Bauchfellentzündung gekommen, weshalb eine weitere Operation erforderlich gewesen sei. Eine Appendizitits habe sich nicht bestätigt, so dass auch die Entfernung des Blinddarms nicht geboten gewesen sei. Im Übrigen hätte der Beklagte zu 1) den Blinddarm am 02.12.2012 schon deshalb nicht entfernen dürfen, weil dieser Eingriff in den Fachbereich eines Chirurgen falle. Die zweite Operation am 14.12.2012 sei zu lange hinausgezögert worden, es wären über den Zeitraum von mehr als 14 Stunden überflüssige Untersuchungen durchgeführt und auf ihre Schmerzen nicht reagiert worden. Sie habe infolge der Operation unter starken Schmerzen und eingeschränkter Bewegungsfähigkeit gelitten und sie sei in ihrer Erwerbsfähigkeit längerfristig gehindert gewesen. Dauerhaft sei der Bauch durch die Narben entstellt. Sie habe daher Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 EUR.
Die Beklagten haben behauptet, die Behandlung sei entsprechend dem Facharztstandard erfolgt. Die Entfernung der Endometriose und des Appendix seien indiziert gewesen und lege artis erfolgt. Auch die Behandlung am 14.12.2012 sei korrekt gewesen. Vor diesem Zeitpunkt sei eine Relaparoskopie nicht indiziert gewesen. Die Aufklärungen sei korrekt erfolgt. Im Übrigen sei von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen.
Das Landgericht hat den Sachv...