Leitsatz (amtlich)
›1. Begibt sich ein Arzt mit der von ihm vorgeschlagenen Behandlungsmethode auf Neuland mit ungeklärten Risiken (hier: endoskopische Blinddarmoperation 1991), so muß die Aufklärung besonders umfassend erfolgen.
2. DM 30 000 Schmerzensgeld wegen der eingriffsberechtigten Folgeoperationen und -behandlungen.‹
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Entscheidung vom 16.06.1995; Aktenzeichen 8 O 2220/93) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 16. Juni 1995 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. August 1993 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus der am 29. Oktober 1991 durchgeführten Appendektomie zu ersetzen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 7/11 und der Beklagte 4/11.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer übersteigt nur für die Klägerin 60.000,- DM.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer ambulanten laparoskopischen Appendektomie in Anspruch.
Die Klägerin wurde wegen unklarer anhaltender Bauchbeschwerden von ihrem Hausarzt A. zunächst zu dem Facharzt für innere Medizin B. überwiesen, der eine abdominelle Tastuntersuchung, eine Ultraschalluntersuchung und eine Ileocoloskopie sowie laborchemische Untersuchungen vornahm. In seinem Arztbrief vom 7. Oktober 1991 an den Hausarzt Dr. A. kam er zu der Beurteilung, daß sich kein organ- pathologischer Befund ergeben habe und die Untersuchungen das Vorliegen einer entzündlichen Darmerkrankung ausschließen. Die Klägerin wurde außerdem behandelt von dem Gynäkologen Dr. C., der sie bei weiterhin unklaren Bauchbeschwerden zu dem Beklagten, Facharzt für Gynäkologie, zur Durchführung einer Bauchspiegelung überwies, die am 29. Oktober 1991 durchgeführt werden sollte.
Die Klägerin unterzeichnete eine vorgedruckte Einverständniserklärung mit der Überschrift "Einverständniserklärung bezüglich Bauchspiegelung". Unmittelbar über den Unterschriften der Klägerin und des Beklagten war handschriftlich folgender Zusatz eingefügt: "Die Pat. wurde über die Möglichkeiten der ambulanten und stat. Behandlung informiert; P. ist ausdrücklich mit dem amb. Vorgehen einverstanden." Die Parteien streiten darüber, ob dieser handschriftliche Zusatz sich bereits auf der Urkunde befand, als die Beklagte ihre Unterschrift leistete. Streitig ist zwischen den Parteien ferner, ob die Klägerin mündlich aufgeklärt worden ist und ggfls. in welchem Umfang.
Bei der Bauchspiegelung diagnostizierte der Beklagte eine "akute Appendicitis". Der Operationsbericht lautet auszugsweise wie folgt:
"Nach zwei suprasymphysären Einstichen stellt sich folgender Situs dar:
Uterus normal groß, am Portioadapter aufrichtbar, Oberfläche leicht gerötet, Adnexbereich bds. insgesamt einsehbar unauffällig, der Douglas ist mit seröser Flüssigkeit in normaler Menge versehen, Blasendach frei, die Appendix ist stark gefäßinfiziert, verdickt, im Lumen unterschiedlich. Nach Anhaken der Appendix, Abpräparation der Mesoappendix, Legen einer Röderschlinge im Basisbereich, Exprimieren nach distal, bipolare Coagulation und Durchtrennung, Lavage, Legen einer zweiten Röderschlinge und anschließend ausgiebige Bauchlavage. ..."
Das Operationspräparat wurde pathologisch mit folgendem Ergebnis begutachtet: "Es handelt sich um eine beginnende akute Appendicitis. Kein Anhalt für eine spezifische Entzündung oder ein bösartiges Zellwachstum."
In den Tagen nach der ambulanten Operation war die Klägerin zunächst beschwerdefrei. Am 8. November traten bei ihr starke Beschwerden im Unterbauch auf. Sie wurde an demselben Tag unter dem Bild einer akuten Bauchfellentzündung stationär in die K. in O. aufgenommen und notfallmäßig operiert. Nach ihrer Entlassung am 18. November 1991 mußte die Klägerin für die Zeit vom 12. bis 15. Dezember 1991 und vom 20. Januar bis 27. Januar 1992 erneut stationär in die K. aufgenommen werden, im Januar 1992 mit dem Vollbild eines Darmverschlusses, der eine sofortige Re-Laparatomie erforderlich machte. Laut Untersuchungsbefund hatte sich nach einer Voroperation ein Verwachsungsstrang gebildet. Vom 8. bis 13. Mai 1992 wurde die Klägerin erneut stationär in der Klinik behandelt. Es wurde ein beginnender Darmverschluß bei Zustand nach laparoskopischer Appendektomie festgestellt.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schmerzensgeld und die Feststellung seiner Einstandspflicht für Zukunftsschäden.
Sie hat behauptet, die Appendektomie sei ohne ihre Einwilligung durchgeführt worden. Sie sei nur mit einer Bauchspiegelung einverstanden gewesen. Nur zur Durchführung dieser Maßnahme habe sie sich in die Behandlung des Beklagten begeben und sich auch zuvor bei ihrem Hausarzt Dr. A. vergewissert, ob gegen eine solche Maßnahme bei ambulanter Durchführung B...