Leitsatz (amtlich)
1. Für die Auslegung einer Beitrittserklärung zu einer Genossenschaft ist nicht allein der Wortlaut der Erklärung maßgebend, sondern es sind auch der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen und der Wille der Beteiligten auch nach außen sichtbar wird. Hierzu gehört auch der Umstand, dass von dem Beitretenden dem Vorstand der Genossenschaft in der Beitrittserklärung eine Vollmacht zur Zeichnung weiterer Genossenschaftsanteile bis zur Höhe einer in der Beitrittserklärung angegebenen Gesamtsumme erteilt wird. Geboten ist eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung. Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist, der wohlverstandenen Interessenlage der Beteiligten entspricht und die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vermeidet.
2. Zur Reichweite des Anwendungsbereichs der Verjährungsreglung in § 22 Abs. 6 Satz 1 GenG.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 4 O 1228/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 20.02.2023, Az.: 4 O 1228/22, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.03.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für die Beklagte auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor ihrer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht - als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der V... Wohnungsgenossenschaft eG (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin oder Genossenschaft) - gegen die Beklagte mit der Klage einen Anspruch auf Zahlung übernommener Geschäftsanteile sowie des Grundentgelts aus deren Beitritt zur Insolvenzschuldnerin, einer Genossenschaft, die eine Vielzahl von Kapitalanlegern geworben hat und im Jahr 2012 unter "G... Z... Wohnungsgenossenschaft eG" firmierte, geltend.
Die Beklagte ist der Insolvenzschuldnerin mit ihrer Erklärung vom 29.06.2012 als Genossin beigetreten. Der von ihr unterzeichnete Vordruck ist auf der ersten Seite überschrieben mit "Beitrittserklärung - Vermittlungsvertrag". Nach der Mitgliedsnummer ist angekreuzt "4,5 % p.a. (Mietzinsvariante ist auf 25 Jahre festgeschrieben", wobei der Prozentsatz händisch auf "3,5 % p.a." geändert wurde. Danach ist die Rubrik "Zeichnungssumme" links wie folgt ausgefüllt: "Beteiligung mit 1 = 100,00 EURO, Pflichtanteil zur Begründung der Mitgliedschaft, + 299 = 29.900,00 EURO weitere Geschäftsanteile = 300 = 30.000,00 EURO Geschäftsanteile". Rechts sind in dieser Rubrik folgende Eintragungen enthalten: "Multiplikator der Geschäftsanteile für Investitionssumme 10, Investitionssumme 300.000,00 EURO, Grundentgelt 4.800,00 EUR". Darunter folgt der Satz "Ich verpflichte mich, die nach der Satzung der Genossenschaft geschuldeten Einzahlungen auf die Geschäftsentgelte und das Grundentgelt zu leisten.". Darunter folgen unter der Rubrik "Beitragszahlungsweise" Felder, die die Beklagte als "Sparer" ausweisen und am 01.07.2012 eine "Soforteinlage 100,00 EUR" vorsehen. Darüber hinaus ist angekreuzt "Antrag auf Teilzahlung des Grundentgelt", wobei die Zahlung durch monatliche Teilbeträge in Höhe von 600,00 EUR ab 01.08.2012 in acht Monaten erfolgen soll. Weitere Felder benennen hinsichtlich der Geschäftsanteile "Stundungsbetrag 29.900,00 EUR" und "Dauer der Stundung 299 Monate", wobei der monatliche Stundungsbetrag in Höhe von 100,00 EURO ab 01.08.2012 gezahlt werden soll. Nach den Rubriken "Antragsteller(in) - Beitretende(r)" und "Antrag auf vermögenswirksame Leistungen" folgt in der Rubrik "Beiträge" der Satz "Bei einer Teilzahlung des Grundentgelt wird der Geschäftsanteil zur Begründung der Mitgliedschaft (Pflichtanteil 100,00 EURO) mit der ersten Teilzahlung eingezogen. Nach Begleichung des Grundentgelt werden mit den weiteren Zahlungen die offenen Geschäftsanteile beglichen.". Bei der folgenden "Einzugsermächtigung" wird nochmals als "monatlicher Stundungsbetrag 100,00 EUR" angegeben. Schließlich findet sich vor der Angabe der Bankverbindung der Beklagten der folgende Satz "Ich bitte um Genehmigung meines Antrages gemäß den Bestimmungen des Genossenschaftsgesetzes und der Satzung der G... Z... Wohnungsgenossenschaft eG.".
Auf der zweiten Seite des Vordrucks folgt nach der Rubrik "Legitimation Antragsteller(in) - Beitretende(r)" die Rubrik "Erklärung und Unterschrift - Antragsteller(in) - Beitretende(r)". Dort b...