Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem vergaberechtswidrigen Ausschluss eines Angebots kann ein Anspruch des Bieters auf Ersatz seines positiven Interesse, also seines Interesses an der Auftragserteilung, ausnahmsweise dann bestehen, wenn der öffentliche Auftraggeber den ausgeschriebenen Auftrag tatsächlich erteilt hat und der übergangene Bieter bei rechtmäßigem Verlauf des Vergabeverfahrens den Auftrag hätte erhalten müssen.
2. Legt ein Bieter im Rahmen der Ausschreibung eines Bauauftrags als Einheitspreisvertrag ein - zugelassenes - Nebenangebot mit einem Pauschalpreis vor, und hat der Auftraggeber in den Bewerbungsbedingungen eindeutig für alle Nebenangebote den Nachweis der Gleichwertigkeit mit dem Hauptangebot innerhalb der Angebotsfrist verlangt, so ist das Nebenangebot nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A 2006 auszuschließen, wenn es einen solchen Nachweis nicht enthält.
3. Bei Tiefbauarbeiten sind unerwartete Baugrundverhältnisse mit Auswirkungen auf die auszuführenden Leistungen oder Mengenabweichungen nicht selten, so dass die nach § 5 Nr. 1 lit. b VOB/A 2006 vorgesehenen Voraussetzungen für den Abschluss eines Pauschalpreisvertrages - in Fällen, in denen die Leistung nach Ausführungsart und Umfang genau bestimmt ist und mit einer Änderung bei der Ausführung nicht zu rechnen ist - regelmäßig nicht erfüllt sind.
Normenkette
BGB §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 2; ZPO §§ 256, 563 Abs. 2; VOB/A 2006 § 5 Nr. 1 Buchst. b, § 21 Abs. 1 Nr. 2 S. 5, § 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.4.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der Zivilkammer 1 des LG Stendal wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens 1 U 50/10, des Revisionsverfahrens X ZR 130/10 und des Berufungsverfahrens 2 U 92/12 hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Das angefochtene Urteil des LG Stendal ist ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar.
Gründe
A. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte in einem von ihr durchgeführten Vergabeverfahren das von der Klägerin eingereichte Angebot zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen hat und der Zuschlag bei ordnungsgemäßer Wertung auf das Angebot der Klägerin hätte erteilt werden müssen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadenersatz in Form entgangenen Gewinns im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht.
Die Beklagte leitete im August 2008 eine öffentliche Ausschreibung für das Bauvorhaben "Grundhafter Ausbau der Kreisstraße ... von der B. nach P." ein. Der Zuschlag sollte auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt werden. Nebenangebote wurden zugelassen. Bereits in der Vergabebekanntmachung, dort unter lit. u), wurde gefordert, dass Nebenangebote eindeutig und erschöpfend zu beschreiben seien, so dass die Gleichwertigkeit qualitativ und quantitativ nachgewiesen werde. Als Bewerbungsbedingungen verwendete die Beklagte das Formblatt 212 des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB Bund, Ausgabe 2008); dort wurde unter Ziff. 5.2 die Forderung erhoben, dass Nebenangebote im Vergleich zur Leistungsbeschreibung qualitativ und quantitativ gleichwertig sein müssten. Die Gleichwertigkeit sei mit Angebotsabgabe nachzuweisen.
Innerhalb der bis zum 4.9.2008 laufenden Angebotsfrist gingen Angebote von sechs Bietern ein. Das Hauptangebot der Klägerin lag mit einem Brutto-Angebotsendpreis von ... EUR auf Rang 1 des Submissionsprotokolls, dasjenige der späteren Auftragnehmerin, der Fa. W. GmbH aus M. (künftig: Auftragnehmerin), mit einem Brutto-Preis von ... EUR auf Rang 2. Die Klägerin reichte mehrere Nebenangebote ein; ihr Nebenangebot Nr. 4 (vgl. GA Bd. I Bl. 148 f.) beinhaltete eine Abweichung in den Leistungspositionen 01.113.004 und 02.113.007 - jeweils "Asphaltdeckschicht aus Splittmastixasphalt 0/11 S herstellen" - in Gestalt des Angebots der Deckschicht ohne Aufhellungssplitt. Dies führe zu einer Reduzierung des Brutto-Angebotsendpreises um 15.613,91 EUR. Sie verwies hierzu auf die Anerkennung der technischen Gleichwertigkeit u.a. durch das Landesamt für Straßenbau Sachsen-Anhalt. Die Auftragnehmerin reichte u.a. das Nebenangebot Nr. 1 ein, welches eine Pauschalierung des Brutto-Gesamtpreises auf ... EUR beinhaltete; weitere Angaben hierzu machte die Auftragnehmerin nicht. Das Nebenangebot Nr. 3 der Auftragnehmerin bezog sich ebenfalls auf die Leistungspositionen 01.113.004 und 02.113.007 und bestand in der Lieferung des Splitts ohne natürliche Aufheller; hieraus ergab sich bei der Auftragnehmerin eine Reduzierung des Brutto-Angebotspreises um 29.019,34 EUR.
Die Klägerin gab in ihrem Angebot zwar den Umfang des beabsichtigten Na...