Leitsatz (amtlich)
1. Knüpfen die Versicherungsbedingungen in einer Betriebshaftpflichtversicherung den Versicherungsfall an den Eintritt eines Schadensereignissens, "als dessen Folge die Schädigung eines Dritten unmittelbar entstanden ist", ist das im Zeitpunkt der Geltendmachung des Haftpflichtanspruches geltende intertemporale Recht anzuwenden, wenn unklar ist, wann dieses Ereignis (hier: Feuchteschäden in einer Tiefgarage) genau eingetreten ist.
2. Wird dem Versicherungsnehmer im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens gegen einen Dritten der Streit verkündet, bemisst es sich nach den Umständen des Einzelfalles, ob hierin bereits die ernsthafte Geltendmachung eines Anspruchs liegt, die den Lauf der Verjährungsfrist auslöst (hier: bejaht).
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 1510/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichtes Leipzig vom 24.02.2022 - 3 O 1510/18 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 1.041.506,20 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt Deckungsschutz und Ersatz von Rechtsverfolgungskosten aus einer Betriebshaftpflichtversicherung.
Sie hat zum 15.09.2005 bei der Beklagten unter Einbeziehung der damals geltenden Versicherungsbedingungen eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, wobei eine Versicherungssumme von 5.000.000,00 EUR vereinbart war und die Versicherung am 20.03.2010 enden sollte. Es wurde eine Verlängerungsoption um jeweils ein Jahr vereinbart, falls keine Kündigung erfolgt (Anlage K1). Der Versicherungsvertrag bestand zumindest bis zum 01.06. 2011.
Zum 01.06.2008 wurden neue Versicherungsbedingungen (H 61/00) einbezogen (Anlage B1, Bl. 80 ff. d. A.). Dort ist unter anderem Folgendes geregelt:
1.1. Die Haftpflichtversicherung bietet Ihnen Versicherungsschutz im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass Sie wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadensereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einen Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Schadensereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung, die zum Schadensereignis geführt hat, kommt es nicht an.
6.6. Übersteigen die berechtigten Schadensersatzansprüche aus dem Versicherungsfall die Versicherungssumme, tragen wir die Prozesskosten im Verhältnis der Versicherungssumme zur Gesamthöhe dieser Ansprüche.
25.3. Wird gegen Sie ein Haftpflichtanspruch erhoben, ein staatsanwaltschaftliches, behördliches oder gerichtliches Verfahren eingeleitet, ein Mahnbescheid erlassen oder Ihnen gerichtlich der Streit verkündet, haben Sie dies ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. ...
...
3. Versicherungsfall ist gemäß Ziffer 1.1 AHB das Schadensereignis, das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte.
Schadensereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf dem Zeitpunkt der Schadensverursachung, die zum Schadensereignis geführt hat, kommt es nicht an.
Das V...-Center in C... wurde in den Jahren 1997 bis 1999 durch die I... GmbH als Generalunternehmerin errichtet. Letztere verschmolz in der Folgezeit mit der Firma S... AG. Im Jahr 2003 traten bauliche Mängel auf, die streitig waren. Zur Beilegung der Streitigkeiten verpflichtete sich die S... AG mit notariellem Vertrag vom 03.05.2007 (Anlage K2) Mängelbeseitigungsarbeiten an den Parkdecks xxx und yyy als Generalunternehmerin durchzuführen. Die S... AG beauftragte die Klägerin mit Vertrag vom 10.08.2005 mit der Ausführung von Abdichtungsarbeiten am Bauvorhaben V...-Center C... Parkhaus xxx zu einem Preis von 174.943,35 EUR. Die Klägerin führte die Arbeiten bis Anfang 2006 durch. Die Firma ... V...-Center S.a.r.l. (im Folgenden: Eigentümerin) erwarb das Grundstück im Jahr 2007/2008 und stellte nach Erwerb Schäden an den Parkdecks fest. Sie beauftragte u. a. den Privatgutachter Dr. S..., der im November und Dezember 2010 Schäden aufgenommen, Untersuchungen durchgeführt und Mängel festgestellt hat.
Am 27.12.2010 stellte die Eigentümerin gegen die S... AG einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht München I (Anlage K7, 2 OH 24886/10). Sie rügte im Wesentlichen Feuchtigkeitsschäden, wie z. B. Farbabplatzungen. Die S... AG ihrerseits verkündete gegenüber der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.02.2...