Leitsatz (amtlich)
1. Der Vorwurf, der Arzt habe eine von einer Patientin in ihrer Brust angegebene Verdickung bei der Untersuchung übersehen und keine weitergehende Diagnostik angeordnet, betrifft nicht die Befunderhebung, sondern ist als Diagnoseirrtum zu beurteilen.
2. Die Beweislast für einen Verstoß gegen eine Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung trägt der Patient.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 3008/16) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 20.05.2019 - 7 O 3008/16 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 35.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die 1963 geborene Klägerin stellte sich am 01.03.2012 bei ihrer Hausärztin vor, die u. a. Folgendes dokumentierte: "Knoten li mama, hat termin Gyn 12.03." und "fragl. TM li mamma ob. äuß quadr.". Am 12.03.2012 stellte sie sich bei der Beklagten - Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe - vor, die die Brüste der Klägerin untersuchte und u. a. Folgendes dokumentierte: "subj. TB li. Brust ... diffuse Mastodynie li. lateral beids. weich, - TB, - LKS ... obs!". Am 07.11.2012 stellte sie sich erneut bei der Beklagten vor und berichtete von Unterleibsbeschwerden vor zwei Wochen und einem stationären Aufenthalt. Die Beklagte stellte auf der linken Brust oben mittig einen Tastbefund fest, woraufhin sie eine Überweisung zur Mammografie veranlasste. Am 09.11.2012 fand eine Mammografie und am 19.11.2012 eine Stanzbiopsie statt. Es wurde die Diagnose eines Mammakarzinoms gestellt. Am 04.12.2012 wurde das Karzinom brusterhaltend operativ entfernt. Anschließend erfolgten eine Chemotherapie sowie eine Strahlentherapie.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe grob fehlerhaft am 12.03.2012 die vorhandene Verdickung in der Brust nicht ertastet und erkannt. Der Knoten wäre sowohl von ihr als auch von ihrem Ehemann ertastet worden. Die Beklagte hätte bei der Klägerin unverzüglich weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Wäre dies geschehen, wäre das Mammakarzinom bereits frühzeitig erkannt und gut zu behandeln gewesen. Sie hätte sich insbesondere die Chemotherapie erspart und hätte auch eine günstigere Prognose gehabt. Sie leide nunmehr dauerhaft an einer Lympherkrankung und sei zudem in psychologischer Behandlung. Sie habe am ganzen Körper Schmerzen. Ihr stehe daher Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 30.000,00 EUR zu. Darüber hinaus habe die Beklagte materielle Schäden i.H.v. 851,90 EUR zu erstatten. Da weitere Schäden nicht auszuschließen seien, bestehe auch ein Feststellungsinteresse.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe sich am 12.03.2012 mit diffusen Beschwerden an der Außenseite der linken Brust vorgestellt. Nach der sorgfältigen fachärztlichen Untersuchung der Brüste habe es jedoch keine dahingehenden Auffälligkeiten gegeben. Es habe kein abklärungsbedürftiger Befund vorgelegen. Sie habe die Klägerin mit der Maßgabe des observativen Vorgehens entlassen. Am 07.11.2012 habe sich die Klägerin wegen Unterbauchbeschwerden und nicht wegen Brustschmerzen vorgestellt. Bei der Untersuchung habe nunmehr an einer anderen Stelle oben mittig an der linken Brust ein Tastbefund festgestellt werden können, der zur sofortigen Überweisung zur Mammografie geführt habe. Der nachfolgende Verlauf entziehe sich der Kenntnis der Beklagten und werde mit Nichtwissen bestritten. Unabhängig davon fehle es an der Kausalität. Selbst wenn die Diagnose früher gestellt worden wäre, hätte sich der spätere Verlauf nicht geändert. Die Behandlungen seien Folge der schicksalhaften Grunderkrankung.
Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten von Frau Prof. Dr. H... eingeholt, die Parteien angehört und den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen und die Klage mit Urteil vom 20.05.2019 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie trägt zur Begründung vor, das Landgericht habe ihr rechtliches Gehör verletzt. Es habe nach der Einvernahme ihres Ehemanns - insoweit unstreitig - mitgeteilt, dass es davon ausgehe, dass die beschriebene tastbare Verdickung in der Brust oberhalb der Brustwarze im März 2012 vorhanden gewesen sei. Sie - die Klägerin - habe daher keine Veranlassung gehabt, hierzu ergänzend vorzutragen. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 25.03.2019 habe das Landgericht - insoweit ebenfalls unstreitig - seine abweichende Auffassung dargelegt. Das Landgericht hätte auf den Vortrag der Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz die mündliche Verhandlung wiedereröffnen und die von ihr benannten Zeuginnen hören müssen. Es sei unwahrscheinlich, dass der Tastbe...