Leitsatz (amtlich)

1. Die presserechtlichen Grundsätze der Verdachtsberichterstattung finden auch dann Anwendung, wenn die Berichterstattung sich auf die Wiedergabe dessen beschränkt, was bereits in anderen Medien zu lesen war.

2. Für eine Verdachtsberichterstattung über den Vorwurf einer Sexualstraftat reicht die Aufnahme polizeilicher Ermittlungen und die Einleitung eines Vorermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft auch dann nicht aus, wenn in der Berichterstattung darauf hingewiesen wird, dass es sich bislang nur um unbewiesene Behauptungen handelt.

3. Die durch die Vorberichterstattung anderer Medien geschaffene "neue Nachrichtenlage" rechtfertigt eine solche Berichterstattung nicht.

4. Die Zustellung des Verfügungsurteils im Parteibetrieb ohne die zugrunde liegende eidesstattliche Versicherung reicht jedenfalls dann aus, wenn das ausgesprochene Verbot aus sich heraus verständlich ist.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 2 O 1429/17 EV)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 22.01.2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Verfügungskläger (Kl.) ist Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis X. Er nimmt die Verfügungsbeklagten (Bekl.) wegen der von den Beklagten zu 2-4 verfassten und in der von der Beklagten zu 1) verlegten "F... P... C..." erschienenen Berichterstattung auf Unterlassung in Anspruch. Unter der Überschrift "Schwere Vorwürfe gegen XX" hatten die Beklagten dort unter Namensnennung und mit einer Fotografie des Klägers über eine gegen ihn gerichtete Strafanzeige einer Frau berichtet, die dem Kläger vorwarf, sie bei einem anfangs noch einvernehmlichen Geschlechtsverkehr misshandelt zu haben. Es wird insofern auf die Anlage ASt 3 Bezug genommen. Die Mitteilung über die Einleitung eines Vorermittlungsverfahrens erhielt der Redakteur der Beklagten zu 1) am 13.11.2017, die Kanzlei des Klägers selbst teilte auf eine Anfrage der Beklagten mit Schreiben vom 15.11.2017 mit, dass die Vorwürfe falsch seien. Bereits am 23. und 24.11.2017 hatten die ...Y. und Radio Y über die Strafanzeige berichtet. Gegen die xyx GmbH hat der Kläger eine einstweilige Verfügung erwirkt, die Betreiberin von Radio Y hat eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Mit Beschluss vom 30.11.2017 hat das Landgericht den Beklagten eine identifizierende Berichterstattung über die Vorermittlungen der StA x und die zugrundeliegenden Vorwürfe untersagt. Auf den Widerspruch der Beklagten hat es mit dem angefochtenen Urteil die einstweilige Verfügung bestätigt. Für die Wirksamkeit der Vollziehung der eidesstattlichen Versicherung sei es unerheblich, dass der Kläger nur den Beschluss des Landgerichts nebst Antragsschrift, nicht jedoch die Anlagen in Kopie zugestellt habe. In der Gesamtschau aller Umstände hätten die Beklagten die Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung überschritten. Bei kritischer Würdigung erscheine der Artikel einseitig und tendenziös. Die den Beklagten vorliegenden Rechercheergebnisse hätten keine hinreichenden Indizien für den Wahrheitsgehalt des Verdachts ergeben. Weder aus dem Polizeijournal, noch aus den Angaben eines Zeugen, der Verletzungen im Gesicht der Anzeigeerstatterin gesehen haben wolle, ergäben sich insofern ausreichende Anhaltspunkte. Auch die Einleitung eines Vorermittlungsverfahrens reiche hierfür nicht aus. Zwar habe die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass der Bundestagspräsident der Aufhebung der Immunität nicht widersprochen habe; da bei Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eine generelle Genehmigung erteilt werde, die Aufhebung der Immunität mithin nicht erforderlich sei, lasse sich hieraus jedenfalls keine für die Berichterstattung notwendige Beweisgrundlage gewinnen. Der Artikel vermittle zudem den Eindruck, dass an den Vorwürfen "etwas dran sein" müsse, weil dort ausgeführt werde, die politische Karriere des Klägers werde "wohl vorbei" sein, sollten sich die Vorwürfe bestätigen und weil dort auf eine "frühere Affäre um ein Sex-Video" hingewiesen worden sei, die keine Verbindung zu den jetzigen Vorwürfen habe. Auf eine am 25.11.2017 infolge der Berichterstattung anderer Medien bestehende "Nachrichtenlage" könnten sich die Beklagten nicht berufen.

Mit der Berufung vertreten die Beklagten die Auffassung, eine Zustellung der Anlagen wäre zur Beurteilung des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes unerlässlich gewesen, eine Zustellung des Beschlusses ohne diese Anlage sei nach § 929 S. 2 ZPO unwirksam. Mit seiner Auffassung, es liege keine zulässige Verdachtsberichterstattung vor, habe das Landgericht verkannt, dass die Beklagten mit Blick auf den offenen Verfahrensstand zunächst von einer Veröffentlichung Abstand genommen und das Geschehen erst zu einem Zeitpunkt aufgegriffen hätten, zu dem durch die Vorberichterstattung anderer Medien eine neue Nachrichtenlage geschaffen worden sei, auf die nicht zu...

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