Leitsatz (amtlich)

1. Die am Vortag einer Bypass-Operation gegen 16:00 Uhr erfolgte Risikoaufklärung des Patienten ist noch als rechtzeitig anzusehen.

2. Geht der aufklärende Arzt aufgrund eines einfachen Diagnoseirrtums davon aus, dass eine Stentimplantation keine Alternative zu der beabsichtigten Bypass-Operation ist, scheidet seine Haftung wegen einer unzureichenden Aufklärung über Behandlungsalternativen aus.

3. Ob die postoperative Wundbehandlung des Thorax nach einer solchen Operation fachgerecht war, ist ausgehend vom herzchirurgischen Standard zu beurteilen; der Einholung eines mikrobiologischen Sachverständigengutachtens bedarf es hierzu nicht.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 6 O 2945/12)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 30.07.2018 - 6 O 2945/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 540.041,91 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die am 20.01.1949 geborene Klägerin - von Beruf ... - begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Erstattungspflicht weiterer Schäden wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung.

Die an Adipositas, Diabetes mellitus Typ II und arterieller Hypertonie leidende Klägerin erlitt am 05.02.2010 einen Herzinfarkt. Die am selben Tag durchgeführte Koronarangiographie ergab eine Zweigefäßherzerkrankung mit einer hochgradigen Stenosierung, woraufhin der Klägerin am 05.02.2010 in der ... S... zwei Stents implantiert wurden. Am 19.04.2010 stellte sie sich im Hause der Beklagten zu einer Herzkatheteruntersuchung vor, die am gleichen Tag durchgeführt wurde. Im Arztbrief vom 23.04.2010 wurde eine koronare Zweigefäßerkrankung mit einer proximalen Stenose des RIVA (einer der beiden Hauptäste der Herzarterie) sowie eine 70 %ige In-Stent-Restenose des RIVA-Stents festgehalten und die Indikation für eine Bypass-Operation gestellt. Am 20.04.2010 fand ein Gespräch zwischen der Klägerin und der Zeugin Prof. Dr. S... statt, dessen Einzelheiten streitig sind. Am 21.04.2010 unterzeichnete die Klägerin den Aufklärungsbogen zur Einwilligung in die Bypass-Operation, die am 22.04.2010 durchgeführt wurde. Postoperativ stieg der CRP-Wert bis zum 28.04.2010 auf 231 mg/l und sank in der Folge auf 123 mg/l (am 01.05.2010) und 64,9 mg/l (am 12.05.2010). Die Leukozyten stiegen bis zum 28.04.2010 auf 17,5 Gpt/l und sanken bis 09.05.2010 in den Normalbereich. Am 01.05.2010 wurde die Wunde als gerötet beschrieben, am 03.05.2010 kam es zu einer serösen Sekretion. Am 04.05.2010 fand ein Thorax Röntgen statt. Ab dem 06.05.2010 erhielt die Klägerin das Antibiotikum Ciprobay 500. Die Klammern wurden am 09.05.2010 entfernt, woraufhin eine Wunddehiszenz entstand. Am 10.05.2010 wurde eine VAC-Vakuumanlage angelegt, in der Folgezeit erfolgten Verbandswechsel mit Octenisept. Die Klägerin wurde auf eigenen Wunsch am 17.05.2010 in das xxxklinikum xxx in L... verlegt. Dort erfolgte am 18.05.2010 ein VAC-Wechsel, und am 20.05.2010 wurde die Sternumwunde komplett eröffnet. Das Material wurde entfernt und ein Wunddebridement durchgeführt. Es erfolgte eine Reverdrahtung und -verplattung mit Thoraxverschluss am 02.06.2010. In der Folgezeit wurden zahlreiche VAC-Wechsel und Debridements durchgeführt. Die Klägerin wurde am 13.08.2010 aus der stationären Behandlung entlassen und die Wundbehandlung ambulant fortgesetzt. Im Oktober 2010 konnte sie ihre Berufstätigkeit mit eingeschränkter Arbeitszeit wieder aufnehmen.

Die Klägerin hat behauptet, es habe schon keine Indikation für eine Bypass-Operation bestanden. Der Befund über die Herzkatheteruntersuchung betreffe eine andere Patientin, denn in dem Befundbericht vom 19.04.2010 seien - insoweit unstreitig - ihre Größe, ihr Gewicht und auch der sie behandelnde Hausarzt fehlerhaft vermerkt worden. Im Rahmen der Aufklärung sei nicht auf mögliche Behandlungsalternativen hingewiesen, vielmehr sei sie zur Bypass-Operation gedrängt worden. Auch eine korrekte Risikoaufklärung habe nicht stattgefunden. Die Operation sei nicht lege artis erfolgt, das Sternum nicht mittig durchtrennt worden. Die postoperative Behandlung der aufgetretenen Infektion sei grob fehlerhaft und unzureichend gewesen. Wegen der Infektzeichen, insbesondere des pathologisch erhöhten CRP Werts, hätte schon am 29.04.2010 eine operative Revision und Reinigung der Wunde sowie eine Antibiose stattfinden müssen. Zudem habe die VAC-Anlage nicht ordnungsgemäß gearbeitet. Die Klägerin habe infolge dessen an starken Schmerzen gelitten und sich zuletzt in einem lebensbedrohlichen Zustand befunden, das Sternum sei regelrecht zerstört word...

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