Leitsatz (amtlich)
1. Die für eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts erforderliche Erkennbarkeit kann fehlen, wen bei einer nicht namentlichen Berichterstattung kein regionaler Bezug zwischen der Meldung und dem Leserkreis des Mediums gegeben ist.
2. An dem Zueigenmachen einer in einem Artikel enthaltenen Behauptung kann es auch dann fehlen, wenn hieraus für den Leser erkennbar wird, dass der Autor über keine eigenen Erkenntnisquellen verfügt, sondern sich allein auf Angaben Dritter stützt, der Artikel im Konjunktiv gehalten ist und durch die mehrfache Verwendung des Wortes "sollen" deutlich macht, dass der Autor selbst für die Wahrheit nicht einstehen möchte.
3. Werden Informationen von einer Nachrichtenagentur übernommen, besteht in der Regel bei einer nicht namentlichen Berichterstattung keine Pflicht zu weitergehenden eigenen Recherchen, wenn sich Zweifel an der Wahrheit nicht aufdrängen.
4. Bei einem Widerrufsanspruch trägt der Anspruchsteller stets die Beweislast für die Unwahrheit der gerügten Tatsachenbehauptung.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 163/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Dresden vom 6.8.2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5000,- EUR vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 20000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Widerruf der o.a. Äußerungen aus deren am 7.6.2019 unter dem Internetauftritt www.xxx.de veröffentlichten Berichterstattung in Anspruch. Es wird im Übrigen auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei in der angegriffenen Berichterstattung nicht namentlich genannt worden und auch ansonsten nicht erkennbar dargestellt. An keiner Stelle des Artikels ergebe sich ein Hinweis darauf, dass neben der Leiterin der Einrichtung auch die Klägerin als eine der Erzieherinnen für die Vorwürfe verantwortlich sein könne. Urteile gegen andere Verlage im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die behaupteten Vorfälle beträfen keine vergleichbaren Sachverhalte. Unabhängig hiervon habe die Beklagte auch keine unwahren Tatsachenbehauptungen aufgestellt, sondern lediglich über Verdachtsmomente berichtet. Ob hier eine zulässige Verdachtsberichterstattung vorgelegen habe, könne angesichts dessen dahinstehen.
Mit der Berufung vertritt die Klägerin die Auffassung, das Landgericht habe ihre Erkennbarkeit in der streitgegenständlichen Berichterstattung rechtsfehlerhaft verneint. Ausreichend sei nach der Rechtsprechung auch des Senats (NJW-RR 2018, 44) die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis. Da es in O.../B... nur einen yyy Kindergarten gebe und dort auch nur eine Erzieherin, nämlich die Klägerin, wegen haltloser Vorwürfe gekündigt worden sei, sei diese Erkennbarkeit fraglos gegeben. Die Urteile in den Parallelverfahren beträfen vergleichbare Sachverhalte und hätten durchgängig die Erkennbarkeit der Klägerin bejaht (K 19, K 24, K 25). Die streitgegenständlichen Behauptungen seien unwahr und persönlichkeitsrechtsverletzend, die Beklagte habe ihrer Beweislast nicht genügt, was das Landgericht ebenfalls verkannt habe. Der Klägerin stehe daher auch der geltend gemachte Widerrufsanspruch zu.
Sie beantragt,
1. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Dresden vom 06.08.2021, Az.: 3 O 163/20 wird es der Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fest-zusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft letzteres zu vollziehen an der Geschäftsführung, untersagt, wörtlich oder sinngemäß die nachfolgenden Äußerungen in Bezug auf die Klägerin zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen:
a) KINDER ZUM ESSEN GEZWUNGEN, BIS SIE ERBRACHEN
b) Der Zeitung zufolge hatten die beiden Frauen die Kinder mehrfach bis zum Erbrechen zum Essen genötigt und auch zum Schlafen auf Befehl gezwungen.
c) Die Beschuldigten hätten ihre Schutzbefohlenen "unzulässigem Druck und pädagogisch fragwürdiger Behandlung ausgesetzt"
d) Damit hätten sie sich der Beeinträchtigung des Kindeswohls schuldig gemacht.
e) Gegen dieses Leitbild hätten die Mitarbeiterinnen willentlich verstoßen.
f) Weil sie Kinder massiv unter Druck gesetzt und zum Essen gezwungen haben sollen, ist zwei Mitarbeiterinnen des yyy Kindergartens ... in L... (Kreis W...) gekündigt worden.
wie geschehen in der Berichterstattung der Beklagten vom 7. Juni 2019 mit der Überschrift "Kinder zum Essen gezwungen, bis sie erbrachen: Erzieherinnen gekündigt", ursprünglich abrufbar unter der URL https://www.xxxxxx (Anlage K9).
2. die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. 1. a) bis e) aufgeführten Behauptungen zu widerrufen und den Widerruf auf der Internetseite www.xxx.de wie folgt in einer vom Gericht zu bestimmenden Größe und Aufmachu...