Leitsatz (amtlich)
1. Die Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung beinhaltet den Vorwurf eines Behandlungsfehlers, der zur Beweislast des Patienten steht. Eine dokumentationspflichtige Aufklärungspflicht liegt hierin nicht.
2. Ein Befunderhebungsfehler, der sich aus einem nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum ergibt, kann nicht Grundlage der Haftung wegen eines Behandlungsfehlers sein (Sperrwirkung des Diagnoseirrtums).
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 1244/22) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Leipzig vom 20.03.2023 - 7 O 1244/22 - wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 205.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld und die Feststellung weiterer Einstandspflichten für eine behauptete Fehlbehandlung im Zeitraum Februar bis April 2020 im Hause der Beklagten. Dort war ihm im Jahre 2019 die Gallenblase entfernt und ein Stent gelegt worden. Bei der geplanten Wiedervorstellung des Klägers am 17.02.2020 zum Wechsel des Stents wurde dieser nicht aufgefunden, in den Behandlungsunterlagen ist die Vermutung eines spontanen Stentabgangs vermerkt. Der Kläger wurde am Folgetag ohne Vereinbarung eines Anschlusstermins entlassen.
Am 25.04.2020 stellte er sich mit Unterleibsbeschwerden bei der Beklagten vor. Am Aufnahmetag wurden eine Sonographie und ein Röntgen gefertigt, in den Behandlungsunterlange ist insoweit festgehalten, dass wegen schlechter Nierenwerte von einem CT abgesehen wurde. Auf der Grundlage der durchgeführten Untersuchungen wurde der Kläger mit Verdacht auf eine Magen-Darm-Grippe stationär aufgenommen. Bei verschlechtertem Allgemeinbefinden und Auftreten von Fieber wurde am Folgetag ein CT des Bauchraums angefertigt, wobei erstmals eine Dünndarmperforation mit Peritonitis festgestellt wurde. Es erfolgte notfallmäßig operativ eine Teilresektion des Dünndarms. Wegen Komplikationen folgten acht weitere Operationen, am 12.04.2021 also über ein Jahr später wurde der zuvor erforderlich gewordene künstliche Darmausgang zurückverlegt.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, es sei ein Verstoß gegen den medizinischen Behandlungsstandard gewesen, dass der nicht aufgefundene Stent im Darm nicht bereits am 17.02.2020 "gesucht" und dann chirurgisch geborgen wurde. Wäre dies erfolgt, wäre die im April unstreitig aufgetretene Dünndarmperforation mit begleitender Peritonitis vermieden worden. Der Stentabgang selbst sei ihm von den Ärzten der Beklagten nicht mitgeteilt worden; hätte es eine solche Mitteilung gegeben, hätte er sich bereits früher vorgestellt, da er bereits seit dem 23.4.2020 unter Beschwerden gelitten habe. Bei der Notaufnahme am 25.04.2020 hätte bereits am Aufnahmetag ein CT gefertigt werden müssen. Dieses hätte die Perforation gezeigt und eine sofortige OP indiziert, wodurch dem Kläger die Folgeoperationen erspart geblieben wären.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens auf viszeralchirurgischem und gastroenterologischem Gebiet die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel uneingeschränkt weiter.
Er behauptet, ihm persönlich sei der Abgang des Stents und das damit einhergehende Erfordernis der sofortigen Wiedervorstellung im Falle von Beschwerden nicht mitgeteilt worden und vertritt die Auffassung, der hierin liegende Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung, deren Verletzung hier zu vermuten sei, weil sie - unstreitig - nicht dokumentiert wurde, führe zu einer Beweislastumkehr. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe sich dieses Versäumnis auch kausal ausgewirkt. Der Kläger hätte sich im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung bereits am 23.04.2020 bei der Beklagten wieder vorgestellt und hätte ausdrücklich auf den Stent-Abgang hingewiesen. Dann wäre die Risikoabwägung bereits am Aufnahmetag ungeachtet der Nierenproblematik zugunsten eines sofortigen CT ausgefallen - sämtliche erforderlichen Schritte wären zwei Tage früher erfolgt, die gravierenden Folgen wären vermieden worden. Für das Gegenteil sei entgegen der Auffassung des Landgerichts die Beklagte beweispflichtig, denn das Landgericht habe verkannt, dass es sich bei der unterlassenen Sicherungsaufklärung um einen groben Behandlungsfehler handele. Im Übrigen hätte sich bei Durchführung eines CT am 23.04.2020 bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger Befund gezeigt, dessen Verkennung jedenfalls grob behandlungsfehlerhaft gewesen wä...