Leitsatz (amtlich)
1. Der Vorwurf, ein Hautarzt habe bei der Untersuchung einer Auffälligkeit kein Auflichtmikroskop verwendet und infolgedessen einen bösartigen Tumor fehldiagnostiziert, betrifft im Schwerpunkt einen Befunderhebungsfehler.
2. Die aus der fehlenden Dokumentation folgende Vermutung, dass eine Behandlungsmaßnahme nicht getroffen wurde, kann im Wege der freien Beweiswürdigung durch eine Anhörung des Arztes entkräftet werden.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 1824/21) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 15.09.2023, Az. 8 O 1824/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf bis zu 85.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einer vermeintlich fehlerhaften Behandlung des Klägers in der Hautarztpraxis der Beklagten zu 1 durch die dort angestellte Beklagte zu 2 am 28.08.2018.
Der im Jahr 1953 geborene Kläger war seit dem Jahr 2005 Patient in der Praxis der Beklagten zu 1 und stellte sich dort regelmäßig zum Hautcheck vor. Am 28.08.2018 stellte er sich außerhalb eines Routinetermins bei der Beklagten zu 2 vor und bat um Untersuchung eines auf dem Bauch befindlichen Leberflecks. Die Beklagte zu 2 diagnostizierte an diesem Tag: "Bauch mitte 1x1 cm, gr. dunkel-braun glänzende Plaque eher hae ad Ko in 3 Mo", d.h. am ehesten ein (thrombosiertes) Hämangiom (Blutschwämmchen) mit Anordnung einer Kontrolluntersuchung in 3 Monaten. Eine Gewebeprobe wurde nicht veranlasst.
Bei dem nächsten Termin am 14.11.2018 wurde die Hautveränderung herausgeschnitten und histopathologisch untersucht. Der Untersuchungsbericht vom 20.11.2018, der der Beklagten zu 2 am 22.11.2018 vorlag, enthielt die Diagnose "noduläres malignes Melanom 4,5 mm" und wurde dem Kläger am 26.11.2018 eröffnet. Auf Grund der Größe des Tumors fand eine klinische Nachexzision am 11.12.2018 statt; hier wurde auch in einem Lymphknoten eine Metastase festgestellt. Aus der Klinik entlassen wurde der Kläger am 13.12.2018. In der Folge erhielt er eine adjuvante Therapie mit Pembrolizumab, beginnend ab dem 07.03.2019, die bei dem Kläger zu starken Nebenwirkungen führte, weshalb sie nach der zwölften Therapie im November 2019 abgebrochen wurde.
Das sachverständig beratene Landgericht hat die auf Schmerzensgeld und Feststellung einer Einstandspflicht für zukünftige Schäden gerichtete Klage mit Urteil vom 15.09.2023 abgewiesen. Auf die Feststellungen dieses Urteils und die Begründung der Ablehnung wird Bezug genommen. Das Urteil wurde dem Kläger am 20.09.2023 zugestellt. Der Kläger hat am 16.10.2023 Berufung eingelegt und diese am 20.11.2023 begründet.
Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich bei der unzutreffenden Diagnose durch die Beklagte zu 2 um einen vorwerfbaren Diagnosefehler, der i. S. des § 630h Abs. 5 Satz 1 BGB als grob qualifiziert werden müsse, gehandelt habe. Unabhängig von der (grob) fehlerhaften Diagnose eines Hämangioms sei zudem die therapeutische Sicherungsaufklärung grob fehlerhaft gewesen, da ihm von der Beklagten zu 2 im Rahmen der streitgegenständlichen Behandlung nicht angeboten worden sei, umgehend den auffälligen Leberfleck herauszuschneiden und histopathologisch untersuchen zu lassen. Zudem sei der Beklagten zu 2 vorzuwerfen, dass sie die notwendigen medizinischen Befunde nicht erhoben und dadurch einen reaktionspflichtigen Befund nicht erkannt habe. Insoweit seien auch die Voraussetzungen des § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB gegeben.
Die grob fehlerhafte Diagnose werde durch die Sachverständigen bestätigt. Die gegenteilige Ansicht des Landgerichts sei nicht haltbar und nicht ausreichend begründet und nehme keinen Bezug auf die Ausführungen der Privatgutachterin P.... Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Gefäßtumor als Differentialdiagnose durch einen Glasspateldruck oder durch die Auflichtmikroskopie problemlos hätte ausgeschlossen werden können.
Der Kläger behauptet, der Termin am 28.08.2018 sei kein normaler Routinetermin gewesen, weshalb die Beklagte zu 2 schon deshalb besonders aufmerksam hätte sein müssen. Der Fleck sei 2017 noch nicht dokumentiert worden, so dass sich schon daraus ergebe, dass weitere Untersuchungen veranlasst gewesen wären. Eine Beratung zu der Frage, ob umgehend herausgeschnitten oder weiter abgewartet werden solle, sei nicht dokumentiert und habe nicht stattgefunden. Wäre ein entsprechendes Gespräch geführt und dem Kläger in diesem Zusammenhang angeboten worden, den Fleck herauszuschneiden und histopathologisch untersuchen zu lassen, hätte er diesem Vorgehen umgehend zugestimmt.
Der Kläger ist weiter der Ansicht, dass Landgericht habe nur infolge fehlerhafte...