Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Aufrechnung oder Saldierung der Ansprüche des Werkunternehmers nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 VOB/B (Vergütung) und des Bestellers nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 S. 2 VOB/B (Schadenersatz) im Gesamtvollstreckungsverfahren.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Urteil vom 25.09.2002; Aktenzeichen 10 O 1843/02)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 23.06.2005; Aktenzeichen VII ZR 197/03)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Leipzig vom 25.09.2002 – 10 O 1843/02, dahingehend abgeändert, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 10 % über dem zu vollstreckenden Betrag abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Hinsichtlich der Frage, ob ein Vergütungsanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 VOB/B mit einem Schadensersatzanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 S. 2 VOB/B verrechnet werden kann, wird die Revision zugelassen.

Streitwert: 34.019,69 Euro

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt vom Beklagten als Gesamtvollstreckungsverwalter über das Vermögen der restlichen Werklohn für die Fassadensanierung eines Leipziger Studentenwohnheimes in der, wohingegen der Beklagte Schadensersatzansprüche wegen der insolvenzbedingten vorzeitigen Beendigung des Werkvertrages geltend macht. Die Höhe der Werklohnforderung ist zwischen den Parteien unstreitig. Bezüglich des Schadensersatzes bestreitet der Kläger insb. Ortsüblichkeit und Angemessenheit der Mehrkosten.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das LG hat der Klage – vom einem Teilbetrag i.H.v. 2.800,85 DM abgesehen – stattgegeben. Die Vergütungsforderung des Unternehmers und die Schadensersatzforderung des Bestellers stünden sich im Fall des § 8 Nr. 2 VOB/B als zwei rechtlich selbständige Forderungen ggü. Daher könne keine Verrechnung innerhalb einer einheitlichen Forderung, sondern allenfalls eine Aufrechnung erfolgen. Die Aufrechnungslage sei hier mit der Kündigung des Beklagten nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstanden, da es auf eine Fälligkeit der Gegenforderung des Auftraggebers durch Rechnungslegung (§ 8 Nr. 3 Abs. 4 VOB/B analog) insolvenzrechtlich nicht ankomme. Daher sei die Aufrechnung nach §§ 2 Abs. 4 GesO, 394 BGB ausgeschlossen. Da § 54 KO im Geltungsbereich der GesO nicht analog anzuwenden sei, könne nicht von einer Entstehung des Schadensersatzanspruches bereits vor Stellung des Eröffnungsantrages aufschiebend bedingt ausgegangen werden. Aber auch in diesem Falle würde die aufschiebend bedingte Forderung erst mit der Gesamtvollstreckungseröffnung fällig. Zu diesem Zeitpunkt greife aber bereits das von der Rspr. entwickelte Aufrechnungsverbot nach §§ 2 Abs. 4 GesO, 394 BGB.

Mit seiner Berufung erstrebt der Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung. Er trägt vor, eine Verrechnung von Vergütungs- und Schadensersatzanspruch sei nach aktueller Lit. und Rspr. möglich.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des LG Leipzig vom 25.9.2002 – 10 O 1843/02 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der BGH habe entschieden, dass eine Aufrechnung mit vor Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens begründeten Ansprüchen gegen Schuldnerforderungen aufgrund nachher erbrachter Werkleistungen unzulässig sei. Vorliegend seien die vom Beklagten aufgerechneten Forderungen unstreitig erst nach Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstanden, auch wenn sie in ihrem Rechtsgrund möglicherweise bereits vorher angelegt waren. Zudem sei der Schadensersatzanspruch und der Werklohnanspruch jeweils ein nicht identisches Rechtsverhältnis, die Bestimmungen der VOB würden lediglich buchhalterische Verrechnungsregelungen beinhalten, die materiell-rechtlich jedoch als Aufrechnung i.S.v. § 394 BGB zu qualifizieren seien. Im Übrigen bestreitet er nach wie vor den Schadensersatzanspruch bzgl. der Höhe.

II. Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Beklagte kann den Schadensersatzanspruch aus § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B im Wege der Verrechnung geltend machen.

1. In der Rspr. und Lit. werden zu der Frage, ob es sich bei dem Vergütungsanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 VOB/B und dem Schadensersatzanspruch nach § 8 Nr. 2 Abs. 2 S. 2 VOB/B um im Wege der Saldierung zu behandelnde Verrechnungsposten oder um der Aufrechnung zugängliche selbständige Forderungen handelt, verschiedene Ansichten vertreten:

a) Der BGH hat sich in zwei älteren Entscheidungen dafür ausgesprochen, dass es sich um zwei rechtlich selbständige Forderungen handelt, die aufgerechnet werden können (BGHZ 36, 316; BGH NJW 1977, 1345). Durch die Kündigung werde der Vertrag in einen erfüllten und einen nicht erfüllten Teil „aufgespalten”. Auf diese Entscheidungen beziehen sich auch Teile der Kommentarliteratur (Heiermann/Riedel/Rusam, VOB...

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