Leitsatz (amtlich)
1. Die Prozessvoraussetzung der vorgängigen Durchführung eines Schiedsstellenverfahrens gem. § 16 Abs. 1 WahrnG findet keine Anwendung, wenn es im Rahmen einer Unterlassungsklage um die Frage geht, ob bereits vor Abschluss eines Vertrages nach Maßgabe des Kontrahierungszwangs gem. § 87 Abs. 4 UrhG eine Kabelweitersendung erfolgen darf. Ein solcher Rechtsstreit ist nicht als Streitfall i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WahrnG anzusehen, da er weder vom Wortlaut noch vom Zweck dieser Regelung erfasst wird.
2. Der in § 87 Abs. 4 UrhG angeordnete Kontrahierungszwang begründet kein unmittelbares Recht auf die Inanspruchnahme der aus dem zu schließenden Vertrag geschuldeten Leistung auf Einräumung des Rechts der Kabelweitersendung (§ 20b Abs. 1 S. 1 UrhG), sondern lediglich einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages zu angemessenen Bedingungen, sofern nicht ein die Ablehnung sachlich rechtfertigender Grund besteht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 2 HKO 9527/00) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 27.7.2001 verkündete Urteil des LG Leipzig – 02 HKO 9527/00 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, das Rundfunkprogramm der Klägerin in digitalisierter Form weiter zu verbreiten.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 600.000 DM = 36.775,12 Euro
Tatbestand
Die Klägerin veranstaltet das Programm „K.”, das sie über Satellit sowohl anlog als auch digital ausstrahlen lässt. Sie finanziert ihr Programm aus der Vermarktung ihrer Werbezeiten, deren Preise sich nach der Reichweite richten, die bislang ohne Berücksichtigung digitaler Programme gemessen wird.
Die Beklagte betreibt ein Breitbandkabelnetz in Leipzig und versorgt ihre Kabelanschlusskunden entgeltlich mit Programmen, indem sie die über Satellit ausgestrahlten Programmsignale abgreift und in ihr Kabelnetz einspeist.
Zwischen den Parteien existiert kein schriftlicher Vertrag über die Einspeisung und Weiterverbreitung des Programms „K.”. Die Beklagte verbreitete zunächst in einem ca. 800 Kabelhaushalte in Leipzig umfassenden Testlauf ab dem 4.9.2000 das Programm der Klägerin digital. „K.” ist Bestandteil des digitalen Basisangebots der Beklagten, für das der Kunde die Grundgebühr für das (analoge und digitale) Angebot und, falls er über keinen Decoder verfügt, eine Decoder-Miete von 4,95 DM zu zahlen hat. Weitere digitale Programme bietet die Beklagte in nach thematischen Schwerpunkten gebildeten Paketen an, die nur zusätzlich zu dem Grundangebot gegen gesondertes Entgelt empfangen werden können.
Seit Dezember 2000 verhandeln die Parteien über einen Vertrag über die digitale Einspeisung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gem. §§ 97 Abs. 1, 87 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, 20b Abs. 1 S. 2 UrhG zu. Die Digitalisierung, Paketierung, Verschlüsselung und Entgeltpflicht seien eine veränderte Kabelweitersendung mit der Folge der Unanwendbarkeit des § 87 Abs. 4 UhrG. Auch zu einer unveränderten Weiterverbreitung sei die Beklagte nicht berechtigt, da es an einem Vertrag gem. § 87 Abs. 4 UrhG fehle und die Klägerin lediglich die analoge Verbreitung geduldet habe. Eine konkludente Genehmigung der digitalen Weiterverbreitung könne auch nicht in der digitalen Ausstrahlung über Satellit gesehen werden, da diese allein den digitalen Empfang durch Privathaushalte ermöglichen solle. Selbst wenn man eine konkludente Genehmigung oder einen konkludenten Vertragsschluss annehmen würde, hätte die Klägerin die Genehmigung inzwischen widerrufen bzw.den Vertrag gekündigt. Die Klägerin sei berechtigt, den Abschluss eines Vertrags nach § 87 Abs. 4 UrhG abzulehnen. Zum einen stelle die mit einer digitalisierten Kabelweitersendung einhergehende Reichweitenbeschränkung mit ihren negativen Auswirkungen auf die Werbefinanzierung einen sachlich rechtfertigenden Grund für die Ablehnung dar. Zum anderen sei die Ablehnung sachlich gerechtfertigt, weil die Klägerin nur in begrenztem Umfang über Pay-TV-Rechte verfüge. Die Problematik des Bezahlfernsehens lasse sich auch nicht dadurch vermeiden, dass die Beklagte das Entgelt für ihre Programmpakete als Decoder-Miete bezeichne. Aus dem Umstand, dass die Beklagte die von ihr verlangten Preise nicht an der Zahl der Programme je Paket ausrichte, folge, dass sie fremde Programminhalte für eigene Rechnung vermarkte.
Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordn...