Leitsatz (amtlich)

Die Frage, welche Begründungsanforderungen eine Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung erfüllen muss, führte auch vor der Grundsatzentscheidung des BGH vom 16.11.2020 (IV ZR 294/19) nicht zu einer zweifelhaften und unsicheren Rechtslage, die bei Rechtsunkenntnis geeignet war, den Versicherungsbeginn hinauszuschieben. Ein Versicherungsnehmer, der diese Entscheidung abgewartet und erst danach Klage auf Rückzahlung von Krankenversicherungsprämien erhoben hat, kann sich daher nicht darauf berufen, eine vorherige Klageerhebung sei ihm unzumutbar gewesen.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 1701/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23.12.2021 - 3 O 1701/21 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 19.908,45 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit von Beitragserhöhungen im Rahmen der vom Kläger bei der Beklagten gehaltenen Krankenversicherung im Tarif BS 9 nebst dem gesetzlichen Zuschlag R 10 zum 01.01.2009, 01.01.2010, 01.04.2013 und 01.04.2015.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beitragserhöhungen seien formell unwirksam und entsprächen nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen. Die Erläuterungen seien zu allgemein gehalten. § 8 b AVB der Beklagten sei unwirksam, daher seien die Erhöhungen auch materiell-rechtlich unwirksam, soweit der gesetzliche Schwellenwert von 10 % nicht überschritten worden sei. Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt, denn die Klageerhebung sei für den Kläger bis zum Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2020 unzumutbar gewesen. Erst durch dieses Urteil habe er von der Unwirksamkeit der Erhöhungen Kenntnis erlangt. Auch die nachfolgenden Beitragserhöhungen in den Jahren 2017 und 2020 seien unwirksam und hätten nicht zu einer Heilung führen können.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und meint im Übrigen, dass die Mitteilungsschreiben ausreichend begründet sein. § 8 b AVB sei wirksam.

Das Landgericht Leipzig hat die Klage mit Urteil vom 23.12.2021, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, abgewiesen. Es hat angenommen, dass Rückzahlungsansprüche betreffend der Prämien bis einschließlich 31.12.2017 verjährt seien. Da die Beitragsanpassung zum 01.04.2017 wirksam sei, könne offen bleiben, ob die vorangegangenen Erhöhungen wirksam geworden seien, denn durch die wirksame Beitragsanpassung werde der Betrag neu festgesetzt. § 8 b Abs. 1 AVB sei wirksam und habe auch nach Streichung von Abs. 2 einen selbständigen Regelungsgehalt.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Zu Unrecht habe das Landgericht die Verjährung bejaht. Der Kläger habe erst mit den Urteilen des Bundesgerichtshofs von den den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt, weshalb die Verjährungsfrist erst mit Schluss des Jahres 2020 zu laufen begonnen habe. Aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sei ersichtlich, dass er hinsichtlich des Verjährungsbeginns differenziere, wann die Klage eingereicht worden sei. Kenntnis sei anzunehmen, wenn die klagende Partei bereits vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs Klage erhoben habe; in jenen Fällen, in denen erst nach der Entscheidung aus Dezember 2020 Klage erhoben worden sei - wie hier - sei die Klage vorher nicht zumutbar gewesen. Schließlich herrsche zwischen den Parteien ein besonderes Vertrauensverhältnis. Der Versicherungsnehmer verlasse sich auf das rechtmäßige Handeln seiner Krankenkasse.

Darüber hinaus werde die materielle Wirksamkeit bestritten. Diese sei zu verneinen, weil dem Treuhänder bei der gesetzlich vorgesehenen Überprüfung der Verwendung von Mitteln für die Rückstellung für Beitragsrückerstattungen nach § 155 Abs. 2 VAG nicht alle für die Prüfung notwendigen Unterlagen und Informationen vorgelegen hätten. Weiter sei zu bestreiten, dass aus den Unterlagen erkennbar sei, ob einzelne Tarifgruppen bei der Verwendung von Limitierungsmitteln bevorzugt oder vernachlässigt würden. Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse an näheren Informationen. Die Darlegungs- und Beweislast obliege insoweit der Beklagten. Diese Prüfung könne nach Vorlage der Unterlagen durch das Gericht erfolgen.

Es wird unter Aufhebung des am 03.01.2022 zugestellten Urteils des Landgerichts Leipzig (03 O 1701/21) beantragt, wie folgt zu erkennen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.908,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Festzustellen, dass die Beklagte

a) ihm zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, dies sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den er auf die Erhöhungen im Tarif "BS 9" zum 01.01.2009 um 40,00 EUR, zum 01.01.2010 um 41,79 EUR, zum 01.04.2013 um 51,98 EUR und zum 01.04.2015 um 49,99 EUR und im Tarif "R 10" zum 01.01....

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