Leitsatz (amtlich)
1. Ein Diagnoseirrtum setzt eine vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde voraus. Hat die unrichtige Diagnose demgegenüber ihren Grund darin, dass der Arzt die gebotenen Befunde erst gar nicht veranlasst hat, liegt ein Befunderhebungsfehler vor.
2. Die Anhörung eines Privatgutachters zum Inhalt des für eine Partei erstellten Gutachtens kann nicht von Amts wegen durch das Gericht erfolgen.
3. Die Frage, ob eine Indikation für eine strahlenbelastende Bildgebung vorgelegen hat, unterfällt dem radiologischen Facharztstandard.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 1785/18) |
Tenor
1. Das Versäumnisurteil des Senats vom 12.10.2021 wird aufrechterhalten.
2. Die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Verfahren wird auf bis zu 70.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am ... geborene Klägerin zu 1) befand sich vom 20.01.2014 bis 22.01.2014 in stationärer Behandlung bei der Beklagten zu 1) wegen zunehmender Hüftschmerzen. Es wurden dort Sonographie, eine Laboruntersuchung sowie am 22.01.2014 eine MRT-Untersuchung durchgeführt und eine Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) und Gelenkerguss des rechten Hüftgelenks diagnostiziert. In der Zeit vom 12.05.2014 bis 03.06.2014 wurde die Klägerin zu 1) bei der Beklagten auf der Grundlage der Diagnose einer juvenilen idiopathischen Arthritis stationär behandelt, wobei eine Sonographie der Hüft- und Kniegelenke einen Gelenkerguss in der Hüfte rechts zeigte. Am 22.08.2014 stellte sie sich akut wegen erheblicher Beschwerden in den Hüftgelenken vor. Eine MRT-Untersuchung des Beckens ergab den Verdacht auf eine Epiphyseolysis capitis femoris lenta beidseits (ECF). Eine am 22.08.2014 durchgeführte Röntgenuntersuchung nach Lauenstein ergab den Nachweis eines Abrutschens des Schenkelhalses gegenüber dem Hüftkopf links. Die am 23.08.2014 durchgeführte Röntgenuntersuchung rechts bestätigte das Abkippen des Hüftkopfes auch auf dieser Seite. Am 29.08.2014 wurde der Klägerin zu 1) an der Hüfte links eine DET-Schraube implantiert; sie wurde am 05.09.2014 aus der stationären Behandlung der Beklagten entlassen. Die weitere Behandlung erfolgte im ...klinikum ..., wo sie am 24.09.2014 auf der rechten Seite operiert wurde. Auf der linken Seite zeigte sich im Dezember 2014 eine Impingementsituation, die operativ am 07.01.2015 ebenfalls am Universitätsklinikum Dresden behandelt wurde. Im Juni 2017 wurde das eingebrachte Osteosynthesematerial entfernt. Die Beklagte hat an die Klägerin zu 1) ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 EUR bezahlt.
Die Klägerin zu 1) hat die Auffassung vertreten, die Behandler der Beklagten hätten im Januar 2014 fehlerhaft Rheuma diagnostiziert und dadurch die zutreffende Diagnosestellung erheblich verzögert. Die Beklagte wäre nach der MRT-Aufnahme vom 22.01.2014 verpflichtet gewesen, unmittelbar entweder ein Kontroll-MRT oder ein Röntgen durchzuführen. Wäre die richtige Diagnose zeitnah gestellt worden, hätte die operative Stabilisierung der Hüftgelenke in zwei einfachen Operationen mit einem Aufenthalt von jeweils einer Woche stationär erfolgen können. Ursache der Fehldiagnose sei die Fehlinterpretation der MRT- und Röntgenaufnahmen gewesen. Darüber hinaus sei den Behandlern der Beklagten vorzuwerfen, dass sie am 29.08.2014 nur die linke Hüfte operiert hätten, obwohl seit der Diagnose vom 22.08.2014 bekannt gewesen sei, dass ECF auf beiden Seiten vorliege. Durch die Verzögerung der gebotenen Therapie habe der Heilungszeitraum drei Jahre betragen. Während dieser Zeit habe die Klägerin zu 1) an starken Einschränkungen gelitten, sei bettlägerig gewesen und hätte vom Kläger zu 2) umfassend versorgt werden müssen. Sie habe schmerzhafte Operationen über sich ergehen lassen müssen und sich nur im Rollstuhl fortbewegen können. Das Risiko, in naher Zukunft auf künstliche Hüftgelenke angewiesen zu sein, sei sehr hoch. Sie habe Anspruch auf Schmerzensgeld von weiteren 25.000,00 EUR.
Das Landgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. W... - Facharzt für Radiologie - eingeholt und die Klage mit Urteil vom 25.05.2021 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger. Sie werfen dem Landgericht vor, die Gutachter der Landesärztekammer sowie die behandelnden Ärzte nicht als sachverständige Zeugen vernommen zu haben. Deren Vernehmung hätte ergeben, dass eine ECF bereits im Januar 2014 erkennbar gewesen sei. Letztendlich habe auch der Gerichtsgutachter bestätigt, dass im MRT vom 22.01.2019 eine ECF hätte erkannt werden können und eine Verlaufsdiagnostik in einem Abstand von weiteren drei Wochen hätte stattfinden müssen. Die Behandler der Beklagten hätten die notwendigen Befunde nicht erhoben. Bei richtiger Untersuchungsmethode hätte die operationsbedürftige ECF jedenfalls im Mai 2014 festg...