Leitsatz (amtlich)

1. Die Einstandspflicht des Arztes, der postoperativ behandlungsfehlerhaft eine Röntgenkontrolle unterlässt, umfasst nicht weitere Befunderhebungsfehler der ambulanten Nachbehandler.

2. Ist dem mit einer postoperativen MRT-Befundung betrauten Radiologen das genaue Operationsverfahren (hier: Operation einer Rotatorenmanschettenruptur mit Swift-Lock Anker) nicht bekannt, hat er sich bei dem operierenden Krankenhaus zu erkundigen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich hieraus Rückschlüsse für die Befundung ziehen lassen.

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Aktenzeichen 1 O 24/16)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Görlitz vom 09.02.2017 - Az. 1 O 24/16 - wird zurückgewiesen.

II. Auf die Berufung der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge einschließlich der Kosten der Streithilfe.

IV. Das Urteil ist für die Beklagte und die Streithelfer hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.)

I. Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie die Zahlung eines höheren Schmerzensgeldes sowie weiteren Schadensersatz erstrebt, ist unbegründet. Eine Haftung der Beklagten kommt weder aus §§ 630aff. i.V.m. dem Behandlungsvertrag noch aus §§ 823, 831 BGB in Betracht.

1. Einen Behandlungsfehler während der streitgegenständlichen Operation vom 6.3.2012 hat der Sachverständige mit nachvollziehbarer Begründung verneint, insbesondere hat er ausgeführt, es sei kein Anhalt für eine unzureichende Naht gegeben. Die verwendeten Anker seien grundsätzlich geeignet und unter Sicht dem geltenden Behandlungsstandard entsprechend gesetzt worden. Dies lässt die Berufung der Klägerin ebenso gegen sich gelten wie die ihr günstige Annahme des Landgerichts, die Ärzte der Beklagten hätten postoperativ behandlungsfehlerhaft eine gebotene Röntgenkontrolle unterlassen.

2. Dies kann zu ihren Gunsten unbeschadet der Behauptung der Beklagten, es seien ausschließlich bioresorbierbare Anker eingebracht worden, die auch mit einer postoperativen Röntgenkontrolle nicht aufgefunden worden wären, auch für das Berufungsverfahren unterstellt werden. Eine Haftung der Beklagten folgt hieraus indes nicht. Das Unterlassen der gebotenen Therapie ist im Falle der Nichterhebung medizinisch gebotener Befunde nach § 630h Abs. 5 BGB nicht Voraussetzung für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers mit der Folge der Beweislastumkehr zugunsten des Patienten (BGH MDR 2010, 29). Für die Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und Gesundheitsschaden reicht es vielmehr aus, dass die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (BGHZ 138, 1, 5; BGH VersR 1995, 46; VersR 1998, 585, 586; OLG Hamm, VersR 1996, 756; Senat, Urteil vom 21.5.2010, 4 U 1545/09 - juris). Es ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Schaden ist. Es genügt, dass er generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur dann ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (BGH aaO; BGHZ 159, 48f. m.w.N.). Für die Feststellung der Geeignetheit eines groben Behandlungsfehlers für den Schaden reicht es allerdings nicht aus, dass ein bloß theoretisch denkbarer Zusammenhang, der ohnehin fast nie ausgeschlossen werden kann, im Raum steht (BGHZ 85, 212; OLG Karlsruhe OLGR 2004, 320).

Eine - nicht grob - fehlerhafte Unterlassung der gebotenen Befunderhebung führt nach § 630h Abs. 5 S. 2 BGB dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden, wenn sich bei Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit - die der Senat bei mehr als 50 % annimmt (VersR 2004, 648 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rz. U 57) - ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (BGH VersR 2004, 790; BGHZ 132, 47; VersR 2003, 1256; VersR 1999, 1282).

Vorliegend hat der Sachverständige Dr. G... das von ihm festgestellte Versäumnis mit Blick darauf, dass eine Röntgenkontrolle auch noch während der stationären oder ambulanten Nachsorge erfolgen könne, als lediglich einfachen Sorgfaltspflichtverstoß bewertet, wovon ersichtlich auch das Landgericht ausgegangen ist und wogegen sich auch die Klägerin mit ihrer Berufung nicht wendet. Er konnte allerdings nicht genau eingrenzen, wann es zu der von ihm festgestellten Dislokation gekommen ...

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