Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung richten sich auch dann ausschließlich nach materiellem Jugendstrafrecht, wenn die Vollstreckung der Jugendstrafe gemäß § 85 Abs. 6 JGG an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Entscheidung vom 21.02.2003)

 

Tenor

  • 1.

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

  • 2.

    Die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Restes der Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Waldbröl vom 6. Oktober 1993 wird mit sofortiger Wirkung zur Bewährung ausgesetzt.

  • 3.

    Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre.

  • 4.

    Der Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt, dessen Auswahl und namentliche Bestellung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal übertragen wird.

  • 5.

    Dem Verurteilten wird für die Dauer der Bewährungszeit aufgegeben, nach seiner Entlassung seine Anschrift und jeden Wohnungswechsel der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal zu dem Aktenzeichen 1 StVK 48/03 mitzuteilen. Der Wechsel des Wohnsitzes ist auch dem Bewährungshelfer anzuzeigen.

  • 6.

    Der Vorsitzende überträgt die Belehrung über die Bedeutung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung der Justizvollzugsanstalt.

  • 7.

    Der Verurteilte ist in dieser Sache aus der Haft zu entlassen.

  • 8.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Der Verurteilte verbüßt eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren, die durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Waldbröl vom 6. Oktober 1993 wegen räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln gegen ihn verhängt worden ist. Er hat nahezu zwei Drittel der Strafe verbüßt; das Strafende ist auf den 26. Dezember 2003 notiert.

Das Amtsgericht Waldbröl hat durch Beschluss vom 2. Mai 2002 die Vollstreckung der - im Erwachsenenvollzug vollzogenen - Jugendstrafe an die Staatsanwaltschaft Bonn abgegeben.

Durch den angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Teils der Strafe zur Bewährung auszusetzen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet.

1.

Die Voraussetzungen für die Strafaussetzung richten sich ausschließlich nach § 88 Abs. 1 JGG, da gegen den Verurteilten Jugendstrafe verhängt worden ist. Die Vorschrift des § 57 StGB ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Insbesondere führt die gemäß § 85 Abs. 6 JGG erfolgte Übertragung der Vollstreckung auf die Staatsanwaltschaft Bonn nicht dazu, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Aussetzung der Jugendstrafe nunmehr dem Erwachsenenstrafrecht zu entnehmen wären (vgl. OLG Hamm StV 1996, 277; NStZ-RR 2000, 92; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 381; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 1999, 91; Kühn NStZ 1992, 526 (527); Rzepka StV 1998, 349; Eisenberg, JGG, 9. Auflage, § 85 Rn. 17 a; Ostendorf, JGG, 5. Auflage, § 88 Rn. 1). Die gegenteilige und soweit ersichtlich vereinzelt gebliebene Auffassung des 1. Strafsenats des OLG Düsseldorf (vgl. StV 1998, 348 = JMBl. NW 1995, 258 (259)) findet im Gesetzeswortlaut keine Stützte. § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG beschränkt sich eindeutig darauf, im Falle der Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft für das weitere Vollstreckungsverfahren die Anwendung der Vorschriften der StPO sowie des GVG anzuordnen; über die Anwendung materiellen Erwachsenenstrafrechts trifft die Vorschrift dagegen keine Regelung. Entgegen der Auffassung des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf kann die Geltung des § 57 StGB auch nicht daraus hergeleitet werden, dass § 88 JGG allein auf jugendliche und heranwachsende Täter zugeschnitten sei und die für eine erleichterte Aussetzungsmöglichkeit nach Jugendstrafrecht maßgeblichen "besonderen entwicklungsbedingten Aspekte der jungen Menschen" für ältere Verurteilte keine Bedeutung mehr habe. Denn der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des materiellen Jugendstrafrechts, zu dem auch die Voraussetzungen für die Strafaussetzung gehören, ausschließlich auf den Tatzeitpunkt abgestellt. Er hat damit bewusst in Kauf genommen, dass auch gegen Erwachsene - etwa bei zum Zeitpunkt der Verurteilung oder dem Beginn bzw. der Fortsetzung der Vollstreckung lange zurückliegenden Taten - Jugendstrafrecht angewendet wird, obwohl die Wirksamkeit jugendstrafrechtlicher Sanktionen aufgrund ihrer auf den Entwicklungsstand des Täters abstellenden Ausgestaltung nicht in allen Fällen gewährleistet ist. Soweit danach gegen erwachsene Täter Jugendstrafe zu vollziehen ist, hat der Gesetzgeber eine flexible Handhabung im Strafvollzug dadurch ermöglicht, dass die Jugendstrafe gemäß § 92 Abs. 2 JGG nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen werden kann bzw. vollzogen werden soll. Eine entsprechende Regelung hat er für den Bereich der Strafvolls...

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