Leitsatz (amtlich)
Zum stillschweigenden Verzicht eines Verfahrensbeteiligten auf die Vereidigung eines Zeugen.
Verfahrensgang
StA Mönchengladbach (Aktenzeichen 7 Js 1169/00) |
AG Grevenbroich |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Grevenbroich zurückverwiesen.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 14. August 2001 folgendes ausgeführt:
"Das Rechtsmittel hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg.
Die gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ordnungsgemäß begründete Sprungrevision rügt zu Recht die Verletzung des § 65 Nr. 5 StPO.
Das Amtsgericht hat in der Hauptverhandlung vom 25. Juli 2000 durch Beschluss von der Vereidigung des Zeugen C W gemäß § 61 Nr. 5 StPO abgesehen. Dies durfte es nur, wenn die Staatsanwaltschaft, Verteidiger und der Angeklagte auf die nach § 59 StPO grundsätzlich vorgeschriebene Vereidigung verzichtet haben. Der Angeklagte hat jedoch auf die Vereidigung des Zeugen nicht rechtswirksam verzichtet. Die Sitzungsniederschrift beweist nur, dass das Amtsgericht die Nichtvereidigung des Zeugen beschlossen hat. Dass der Angeklagte zuvor eine Verzichtserklärung abgegeben hat, ist nicht protokolliert. Ein derartiger ausdrücklicher Verzicht des Angeklagten hätte protokolliert werden müssen, weil er zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO gehört.
Wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens sind alle Erklärungen, mit denen ein Verfahrensbeteiligter von einem prozessualen Recht Gebrauch macht, sein Einverständnis zu bestimmten Verfahrenshandlungen erklärt oder auf Vornahme bestimmter Verfahrenshandlungen ausdrücklich verzichtet (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl. , § 273 Rdnr. 13). Die Vereidigung von Zeugen ist eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens im Sinne des § 273 Abs. 1. StPO; sie muss daher in der Sitzungsniederschrift beurkundet werden (zu vgl. Dahs in Löwe-Rosenberg, a. a. O. , § 59 Rdnr. 19), wie auch der Beschluss über die Nichtvereidigung. Daher bedarf auch der ausdrücklich erklärte Verzicht eines Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten auf die Vereidigung eines Zeugen der Protokollierung. Da vorliegend die Sitzungsniederschrift darüber schweigt, beweist dies, dass der Angeklagte eine ausdrückliche Verzichtserklärung nicht abgegeben hat (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, a. a. O. , § 274 Rdnr. 20).
Das Schweigen der Sitzungsniederschrift beweis allerdings nicht, dass nicht stillschweigend auf die Vereidigung verzichtet worden ist (zu vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , § 61 Rdnr. 33 m. w. N. ; Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 24. Februar 1992, StV 1992, 263). Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass der Verzicht auf die Vereidigung eines Zeugen keine ausdrückliche Erklärung erfordert, der Verzichtswille vielmehr auch schlüssig durch Schweigen beurkundet werden kann (BGH, NJW 1978, 815; Dahs in Löwe-Rosenberg, a. a. O. , § 61, Rdnr. 36; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , Einl. Rdnr. 126). Diese Kenntnis kann sich aus dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung ergeben (BGH, NJW 1978, 1815). Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden. Mach der Sitzungsniederschrift wurde vor dem Strafrichter vor dem Zeugen W lediglich der Zeuge N vernommen, welcher allerdings gemäß § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt geblieben ist (Bl. 97 d. A. ). Der Gang des Verfahrens kann dem Angeklagten daher nicht die Kenntnis verschafft haben, er könne die Vereidigung des Zeugen beantragen oder auf ihr bestehen.
Ein stillschweigender Verzicht wird aber auch dann möglich sein, wenn ein Angeklagter durch einen rechtskundigen Verteidiger vertreten ist, der ihn in der Hauptverhandlung entsprechend berät (zu vgl. BGH, NJW 1978, 1815). In der vorliegenden Sache war der Angeklagte in der Hauptverhandlung aber ohne Beistand eines Verteidigers. Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der anwaltlich nicht beratene Angeklagte sich der Bedeutung eines stillschweigenden Verzichts auf die Vereidigung des Zeugen W bewusst war, kann in dem Schweigen des Angeklagten kein wirksamer Verzicht gesehen werden (zu vgl. Oberlandesgericht Koblenz, a. a. O. , 264). Mangels eines wirksamen Verzichts des Angeklagten auf die Vereidigung des Zeugen W durfte der Strafrichter von dessen Vereidigung nicht absehen. § 61 Nr. 5 StPO ist verletzt. Auf die Verletzung dieser Verfahrensnorm gestützte Rüge des Angeklagten ist auch nicht etwa deshalb verwehrt, weil er es unterlassen hat, nach § 238 Abs. 2 StPO die Entscheidung des Gerichts zu verlangen (Oberlandesgericht Koblenz, a. a. O. , 264; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 238, Rdnr. 22). Auch gegenüber Anordnungen des Strafrichters muss nämlich grundsätzlich zunächst von der Beanstandungsmöglichkeit des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 238, Rdnr. 18). Vorliege...